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Seit dem CS-Kauf ist UBS-Präsident Colm Kelleher der wichtigste Mann im Swiss Banking. Wer ist der Ire mit einem Faible für Historie?
FAIBLE FÜR HISTORIE: Eigentlich wollte Kelleher Geschichtsprofessor werden – seine Exkurse sind legendär.
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Der Jakobsweg ist eine Erfahrung der besonderen Art. 820 Kilometer erstreckt er sich bis nach Santiago de Compostela, der meistbegangene Pilgerweg der Welt im Norden Spaniens ist für Katholiken längst zu einer Modestrecke geworden, die Päpste, Schauspieler und Schriftsteller beschritten haben, von Johannes Paul II. bis zum brasilianisch-schweizerischen Esoterik-Granden Paolo Coelho.
Einige Monate nach seinem Ausscheiden bei einem der mächtigsten Geldhäuser der Welt begab sich auch ein irischer Katholik namens Colm Kelleher auf den Weg. Die Pilgerreise war auch ein Versprechen an seine tiefgläubigen Eltern. Begleitet von seinem Bruder, auch er sehr gläubig, lief er mehr als einen Monat durch die karge Landschaft. Ganz auf Luxus wollte er jedoch nicht verzichten: Der Whisky-Liebhaber mischte sich abends schon mal seinen Jim Beam mit Wasser und gönnte sich, soweit möglich, auch ein Einzelzimmer mit Dusche. So viel Lebensqualität musste sein für einen Banker, der lange mehr als 20 Millionen Dollar pro Jahr verdient hatte.
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Spirituelle Erfahrungen blieben zwar aus, aber immerhin reifte in Colm Kelleher ein Entschluss: Er wollte wieder arbeiten. «Ich vermisse meinen Job viel weniger, als ich dachte», hatte er nach seinem Abschied noch der «Financial Times» berichtet. Doch es kribbelte wieder. Knifflige Entscheidungen treffen, mit Kollegen über die geliebten Märkte philosophieren, vom privilegierten Informationsfluss an den Schalthebeln eines Finanzmultis profitieren: Das hatte er doch sehr vermisst. Es fehlte nur das richtige Angebot.
Dann kam die Möglichkeit, Axel Weber bei der UBS zu beerben. Im April 2022 hat er das VR-Präsidium der Grossbank übernommen, doch die Einarbeitung ist bereits einige Wochen vorher angelaufen – Axel Weber nahm ihn zu allen internen Sitzungen mit, das Programm war streng getaktet. Der Kontakt: eng. Kelleher wohnt in Zürich. Der Gang ins steuermilde Zug, wie ihn etwa UBS-CEO Ralph Hamers angetreten hat, ist nichts für ihn – auch weil seine Frau lieber Grossstadtflair möchte.
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Die historische Runde vom 19. März 2023: CS-Präsident Axel Lehmann, UBS-Präsident Colm Kelleher, Finanzministerin Karin Keller-Sutter, Bundespräsident Alain Berset, SNB-Präsident Thomas Jordan, Finma-Präsidentin Marlene Amstad (von links nach rechts).
KeystoneDie historische Runde vom 19. März 2023: CS-Präsident Axel Lehmann, UBS-Präsident Colm Kelleher, Finanzministerin Karin Keller-Sutter, Bundespräsident Alain Berset, SNB-Präsident Thomas Jordan, Finma-Präsidentin Marlene Amstad (von links nach rechts).
KeystoneDie Kellehers kamen von London in die Schweiz. Hellblaue Krawatte mit Goldmotiven, ein schalkhaftes Lächeln, stets für eine Anekdote gut. Vor der Präsidentenkür reiste er mit seiner Frau und den drei erwachsenen Kindern noch nach Jordanien – der Mittlere Osten hatte ihn schon immer fasziniert. Als die Familie vor dem Bürgerkrieg Syrien besuchte, war das Kulturprogramm so ausgefeilt, dass die einzige Tochter sich bei ihrem Vater über die «Schulreise» beschwerte.
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Jedoch: Über sich selbst reden behagt ihm nicht. «Banker sollten langweilig sein», lautet sein Credo, ganz nach dem Motto von Richard Fisher, dem legendären Chef der Wall-Street-Ikone Morgan Stanley, für die er den Grossteil seines Berufslebens arbeitete: 30 Jahre.
Seine Wahl zum UBS-Präsidenten kam überraschend. Die Bank hatte sich viel Zeit gelassen, einen Tag vor der Ankündigung Ende November nannte die stets seriöse Nachrichtenagentur Reuters noch den französischen Ex-Unicredit-Chef Jean Pierre Mustier als Top-Kandidaten, und Weber selbst hatte vorher über eine Frau als Nachfolgerin spekuliert. Doch dann kam ein Banker, der im Jahr der Einsetzung die Schweizer Pensionsgrenze bereits erreicht hat und damit gleich alt war wie sein Vorgänger.
Der Wahl haftete ein Hauch von Notlösung an, auch wenn die UBS diesen Eindruck sofort abschütteln wollte. Wikipedia fand Kelleher offenbar so langweilig, dass es nicht einmal einen Eintrag über ihn gab: Aufgeführt war dort, vor der Ernennung zum UBS-Präsidenten, nur der «Lord Mayor of Cork», der Bürgermeister der irischen Stadt Cork, aus der auch Kelleher stammt und die jetzt von einem Politiker gleichen Namens geführt wird. Der Mann, der zum mächtigsten Banker der Schweiz aufgestiegen ist, war dagegen weitgehend unbekannt.
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Die UBS sollte einst «United Bank of Switzerland» heissen, konnte die Marke dann aber aus rechtlichen Gründen nicht durchsetzen (weshalb «UBS» heute offiziell nichts heisst).
Doch jetzt wäre die Bezeichnung so wahr wie nie: Vereinigte Bank der Schweiz. Nach der Übernahme der gefallenen Credit Suisse wird es in der Schweiz nur noch eine einzige Grossbank geben. Die Traditionsmarke Credit Suisse wird verschwinden.
Die neue UBS wird den Schweizer Bankenplatz dominieren. Sei es im Hypothekargeschäft, im Firmenkundengeschäft, auf dem Arbeitsmarkt oder ganz einfach bei den Sparkonten; um die UBS wird künftig kaum noch jemand herumkommen.
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Kein Wunder: Die Institution, nicht die Person sollte im Vordergrund stehen, betont er stets und verweigerte sich persönlichen Stories. So rätselten die mehr als 80'000 UBS-Mitarbeiter mit dem gesamten Finanzplatz bei seiner Nominierung: Colm Who?
Jedoch: Wenn Kelleher etwas nicht ist, dann langweilig. Von einem Bank-Technokraten der jungen Generation könnte er nicht weiter entfernt sein. Wer sich umhört, bekommt fast das Bild einer barocken Persönlichkeit: ein irischer Lebemann mit republikanischem Ethos und Eliten-Aversion, ein starker Truppenführer mit profunder Erfahrung in allen Facetten des Bankings, ein Finanzmanager, der über den engen Horizont seines Geschäfts blickt.
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In jungen Jahren wollte er Geschichtsprofessor werden, und seine historischen Exkurse brachten seine Untergebenen bei Morgan Stanley schon mal dazu, unter dem Tisch die von Kelleher erwähnten Ereignisse zu googeln.
Konnte der frühere Ökonomieprofessor Axel Weber aus dem Stand heraus eine Einschätzung der Wirtschaftslage abgeben, die an Prägnanz in der geschwätzigen Bankenwelt fast unerreicht war, so kann Kelleher zu Monologen ansetzen, die jedem Geschichtsseminar zur Ehre gereichten. Und das durchaus mit einer Prise irischem Absurdismus im Sinne des grossen Samuel Beckett: Seine Leidenschaft gilt dem Byzantinischen Reich, und diese hat er dann doch eher exklusiv – er wollte einst sogar ein Buch über das Imperium im Schatten der grossen Geschichtsschreibung verfassen.
Lehmann und Kelleher: Zwei Präsidenten, aber nur einer hat eine Zukunft.
KeystoneLehmann und Kelleher: Zwei Präsidenten, aber nur einer hat eine Zukunft.
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Allerdings: Das Klischee des zerstreuten Geschichtsprofessors verkörpert er keinesfalls. Ein Zucken seiner Augenbraue signalisiere höchste Gefahr, befand Reuters einst und berichtete von dem Verbot Kellehers an seine Mitarbeiter, selbst in der grössten Sommerhitze New Yorks die Jacketts abzulegen – der Gegensatz zum legeren CEO Ralph Hamers ist offensichtlich. Als «direkt und freimütig» beschrieb ihn Reuters dann auch, und das bestätigt er im Gespräch. Der Brexit? Ein Fehler. Trump? Schlecht für Amerika. Putin? Ein übler Revisionist.
Geboren wurde er als Sohn eines Arztes in Cork County im Süden Irlands. Neun Kinder zählte die Familie, sieben Brüder und eine Schwester, er war das vierte Kind. Doch die Armut Irlands trieb auch die Kellehers fort, die Familie ging nach Nordengland, wo der Vater eine Praxis eröffnete.
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Es war eine irische Diaspora: Die Katholiken hielten zusammen, der junge Colm ging wie seine Geschwister auf eine katholisch-irische Schule in Liverpool, Kontakt mit Engländern gab es kaum. Wohlhabend war die Familie nicht, keines der Kinder folgte in den Arztberuf.
«Ich bin durch Zufall ins Banking gekommen. Ich wollte ein Wissenschaftler sein, war aber nicht clever genug.»
Colm Kelleher
Doch schon in diesen Tagen formte sich seine Ablehnung gegen das englische Klassensystem und dessen Eliteschulen. Zwar gelang ihm selbst der Sprung nach Oxford, doch auch wenn er sich geschickt bewegte, so fühlt er sich auch heute noch in London nicht sehr wohl. Die egalitäre Schweiz mit ihrer grösseren sozialen Durchlässigkeit findet er da sehr attraktiv.
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Aus einer akademischen Karriere wurde nichts, daran konnte auch seine Begeisterung für Byzanz nichts ändern. «Ich bin durch Zufall ins Banking gekommen», sagte er einst der «Business Times Singapore». «Ich wollte ein Wissenschaftler sein, war aber nicht clever genug.» Auch schreckte ihn die lange Dauer einer Doktorarbeit. Er hörte sich um – und landete im Banking.
In London begann er bei der kleinen Bank Robert Fleming, und die Welt des Geldes elektrisierte ihn schnell. Jedoch: Um voranzukommen, brauchte der Historiker finanzielles Rüstzeug. Er ging zur Revisionsfirma Arthur Andersen und liess sich dort zum Chartered Accountant ausbilden. Anschliessend ging es zur County Bank, einem Ableger der britischen NatWest, wo er auch seine spätere Ehefrau kennenlernte, halb Schottin, halb Italienerin.
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Jedoch: Die englischen Banken interessierten ihn nicht wirklich (sie schafften es immer, eine Investmentbank zu ruinieren, lautet eine seiner Sottisen). Und so landete er 1989 bei Morgan Stanley, der edlen New Yorker Investmentbank, die gerade ihre Präsenz in Europa hochfuhr.
Kelleher und Keller-Sutter: Souverän auf dem Podium in Bern.
KeystoneKelleher und Keller-Sutter: Souverän auf dem Podium in Bern.
KeystoneBanking ist ein Herdengeschäft, bei dem es für den Aufstieg zentral ist, auf den richtigen Rudelführer zu setzen. Kelleher fand schon in jungen Jahren seinen Förderer: John Mack, der als einer der wenigen Mitglieder aus der New Yorker Führungsriege regelmässig nach London kam und eine Kultur pflegte, die auch Kelleher praktizieren sollte. Er schritt über die Händlerflure, interessierte sich für die Mitarbeiter unabhängig von der Position, motivierte sie. Und er war Chef des Fixed-Income-Geschäfts, in einer Bank, die wie die UBS stärker auf Aktien setzte, eher ein Randgeschäft.
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Die beiden fanden schnell den Draht zueinander, Mack machte Kelleher zum Leiter des Fixed-Income-Verkaufs für Europa. Als Mack 2001 nach einem verlorenen Machtkampf gegen den damaligen Hoffnungsträger Phil Purcell als Co-Chef zur Credit Suisse wechselte, überlegte sich Kelleher das einzige Mal in seiner Karriere einen Wechsel – und wäre damals schon fast in Zürich gelandet. Doch er blieb in London und baute sein Netzwerk auf, durchaus trink- und feierfreudig, am Wochenende gern auf der Tribüne seines Herzensvereins Chelsea.
Mack kehrte 2005 nach dem Scheitern Purcells zu Morgan Stanley zurück, ausgestattet mit der ganzen Machtfülle eines CEO und Chairman. Jetzt nahm die Karriere Kellehers richtig Fahrt auf. Mack holte ihn in die Zentrale am New Yorker Times Square und machte ihn erst zum Kapitalmarktchef und dann zum Finanzchef.
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Hier lief Kelleher zu grosser Form auf: Er war der wichtigste Mann von Mack in der Finanzkrise, gemeinsam stellte sich das Duo gegen einen Verkauf der Bank, den das Finanzministerium gefordert hatte. In dem Finanzkrisen-Bestseller «Too Big to Fail» von Andrew Ross Sorkin lieferte Kelleher all die schönen Wall-Street-Sprüche, die ihn bestens für einen Hollywoodfilm qualifizieren würden: Shortseller seien «kaltblütige Reptilien» oder das Zahlenwerk eines Konkurrenten «ein Shit-Sandwich, das nicht einmal in meinen Mund passt».
Colm Kelleher betonte am Sonntag vor den Medien seine Position als CFO in der letzten Krise – und inwiefern ihn diese Situation geprägt hat. «Er kam wie ein kampferprobter General daher», sagt PR-Profi Andreas Bantel, «einer, dem man ansieht, dass er von der Wall Street kommt und mit allen Wassern gewaschen ist. Ein Dealmaker.»
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Allerdings: Als es um die Nachfolge Macks ging, kam Kelleher nicht zum Zug. Ihm haftete der Ruf des jovial-harten Machers an, des Vormanns im Maschinenraum, aber nicht des grossen Strategen, den es für die Neuausrichtung brauchte. Neuer Chef wurde der ein Jahr jüngere Ex-McKinsey-Mann James Gorman, der das Wealth Management leitete und die Firma radikal auf diesen Wachstumsbereich ausrichten sollte – wie es auch Axel Weber und sein CEO Sergio Ermotti bei der UBS taten.
Die Nichtberufung zum CEO wurmte Kelleher schon, wie er später in der «Financial Times» zugab («Ich wäre gern CEO geworden»). Doch er blieb, und die beiden ergänzten sich unerwartet gut: Gorman delegierte das gesamte Tagesgeschäft an Kelleher, der als klare Nummer zwei den Titel «President» trug. Nebenbuhler gingen von sich aus oder wurden entlassen – ein Fan von Co-Chefs war Kelleher nie. Vor drei Jahren ging er dann von sich aus, damit sich die nächste Generation besser in Stellung bringen konnte. «Von ihm habe ich mir stets den ersten Rat geholt», verabschiedete sich Gorman sehr emotional.
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Er zog von New York zurück nach London und verbrachte viel Zeit auf seinem Anwesen in der Toskana, der Heimat des italienischen Familienteils seiner Frau, und machte sich sogar um die Wirtschaftsförderung von Florenz verdient. Doch Zigarren, Whisky und Rotwein allein waren auf Dauer auch nicht die Lösung. Dass er offen war für neue Abenteuer, signalisierte er dem Finanzmarkt mit einem eher unglücklichen Intermezzo: Der aktivistische Hedge Fund Cerberus suchte eine Kühlerfigur für ihren Sturm auf die taumelnde Deutsche Bank, und Kelleher liess sich überzeugen, als Sprengkandidat gegen Paul Achleitner anzutreten.
Die Revolte fiel in sich zusammen, und so richtig überzeugt war Kelleher ohnehin nicht. Das war anders bei der UBS-Offerte, die ihn via die Personalfahnder von Egon Zehnder erreichte und glücklicherweise von einem Bekannten geleitet wurde: Jeremy Anderson, als langjähriger Chef des Revisionsriesen KPMG eine bekannte Grösse in der Londoner City, trieb als Lead Director und Vizepräsident der UBS die Anstellung Kellehers voran.
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Dieser Text ist eine editierte Version eines Kelleher-Porträts, das im März 2022 in der «Bilanz» erschien.
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