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2023 wird die Rezession zum grossen Thema. Dennoch wird es für Anleger ein besseres Jahr. Nicht zuletzt dank Anleihen.
SPIELVERDERBER EZB-Präsidentin Christine Lagarde und Fed-Chef Jerome Powell drehen der Weltwirtschaft den Geldhahn zu. Nur so bringen sie die Inflation unter Kontrolle.
Matthias Schardt c/o Kombinatrotweiss.de für BILANZWerbung
Das keine zwanzig Gehminuten nördlich des Weissen Hauses gelegene Gebiet in Washington, D.C., ist als «Think Tank Row» bekannt. Eine ganze Reihe von Denkfabriken wie Carnegie, Peterson oder Brookings ist dort ansässig. Brookings hatte am letzten Novembertag mit Jerome Powell einen ganz besonderen Gast. Ruhig referierte der mächtigste Notenbanker der Welt, ab und zu über seine Lesebrille blickend, über die Zusammensetzung der Inflation und die vielen neu geschaffenen Jobs. In dem Saal war die Zuhörerschaft klein, doch via Livestream hörte die gesamte Finanzindustrie gebannt zu. Anfänglich hatte Powell nur wenig Erfreuliches zu sagen. Trotz ermutigender Zeichen sei der Weg zur Preisstabilität steinig und noch lange. Doch auf eine Passage, die sich Powell für den Schluss des Vortrags aufhob, hatten die Märkte gehofft. «Es ist sinnvoll, das Tempo der Zinserhöhung zu drosseln, da wir uns dem Niveau nähern, das ausreicht, um die Inflation zu senken», sagte er und versetzte den Kursen an den Aktienbörsen damit einen kräftigen Schub. Die Hoffnung, dass die Fed die Zinsen nicht zum fünften Mal in Serie um aggressive 75 Basispunkte, sondern nur noch um 50 erhöht, katapultierte die besonders unter den Zinsen leidenden Tech-Werte an der Nasdaq um 4,1 Prozent in die Höhe.
Ein Jahr zuvor hatte Jerome Powell damit aufgehört, die Inflation als vorübergehendes Phänomen zu bezeichnen, und die Märkte in die Gegenrichtung geschickt. Mit der ausufernden Teuerung setzte ein Reigen an Zinsschritten ein. Die Kurse an den Anleihenmärkten kollabierten, die Aktienbörsen brachen ein. Ein klassisches 60:40-Portfolio brachte die grössten Verluste seit dem Zweiten Weltkrieg. Nun hoffen die leidgeprüften Investoren, dass sich die Teuerungswelle wieder abbaut, dass die mächtigste Notenbank der Welt die geldpolitischen Daumenschrauben wieder etwas löst und eine Erholung einleitet.
Allzu grosser Optimismus ist nicht angebracht. Denn den Anlegern ging ihr wichtigster Verbündeter verloren. «Die Zentralbank steht nicht mehr auf der Seite der Investoren. Sie werden die Vermögenspreise drücken, die Zinsen hoch halten, dem Markt Liquidität entziehen und die Wirtschaft über den Vermögenseffekt dämpfen», sagt Credit-Suisse-CIO Michael Strobaek. Investoren vergessen oft, dass eine Aktienhausse die Finanzierungsbedingungen wieder erleichtert und so gegen die geldpolitische Straffung wirkt. Powell muss die Hausse also verhindern.
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KORREKTUR Nach dem Ausverkauf sind Aktien günstiger, aber nicht billig.
SGKBKORREKTUR Nach dem Ausverkauf sind Aktien günstiger, aber nicht billig.
SGKBAuch wenn der Fed-Chef die Bremse nicht mehr voll durchdrückt, ist das Bremsmanöver noch lange nicht vorbei. «Nach der Euro- und der Covid-Krise haben die Zentralbanken auch bei der Inflationsbekämpfung das Motto ‹Whatever it takes›», sagt Olivier de Berranger, CIO des Pariser Vermögensverwalters LFDE. Die Inflation dürfte 2023 zwar alleine wegen der Basiseffekte wieder sinken, aber sich hartnäckig weigern, auch nur in die Nähe der Idealvorstellung der Notenbanken von 2 Prozent zu kommen. Die DWS sagt für die Eurozone 2023 Inflationsraten von 6 und für die USA von 4,1 Prozent voraus. Powell selbst bezeichnete es bei seinem Brookings-Vortrag als «sehr schwer», die Teuerung zu prognostizieren. «Höchst unsicher» sei ihr Verlauf. Die Geschichte warne eindringlich davor, die Geldpolitik vorschnell zu lockern.
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Bei den Notenbankern ist die Angst vor einer Rückkehr der Inflation wie in den 1970er Jahren gross. 1975, 1976 sank die Inflation nach einem Zinserhöhungsreigen zwar kräftig, kam, nachdem man die Zinsen rasch wieder gesenkt hatte, 1979, 1980 aber mit noch höheren Teuerungsraten zurück. «Wir denken, dass die Zentralbanken die Zinsen länger hochhalten werden, als die Märkte dies derzeit erwarten», so DWS-Global-CIO Björn Jesch. Aktuell liegt der Konsens bei den Zinsen in den USA bei etwas über 5 Prozent, in der Eurozone sieht der Markt die Spitze bei 3 Prozent, die SNB wird sich wohl bei 1,5 Prozent einpendeln.
KATASTROPHENSZENARIO Die Notenbanken fürchten sich vor einer zweiten Teuerungswelle.
Datastream / Bloomberg / CandriamKATASTROPHENSZENARIO Die Notenbanken fürchten sich vor einer zweiten Teuerungswelle.
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In Europa hängt die Inflation primär von den Energiepreisen ab. Prognostizierbar sind diese so wenig wie die Entwicklung des russischen Angriffkriegs. In den USA kommt die Teuerung mehr über den Arbeitsmarkt. Um die in der Covid-Krise massenhaft gefeuerten Arbeitnehmer wieder für den Job zu begeistern, mussten die Löhne vor allem im tiefen Segment nach oben. Der US-Arbeitsmarkt ist immer noch überhitzt. Auf jeden Arbeitssuchenden kommen 1,7 offene Stellen. Jerome Powell hat vor allem die neu geschaffenen Jobs im Visier. Ihre Zahl ist aus Sicht des Inflationsbekämpfers unangenehm hoch und blieb auch zuletzt stabil.
Den Kampf der Geldpolitiker gegen die Inflation erschweren strukturelle Trends. Werner Krämer, Ökonom bei Lazard, glaubt gar einen «Systemumbruch» zu erkennen. Wirkte die Globalisierung von 1981 bis 2020 deflationär, heize nun ein «Neodirigismus» mit mehr Staat und weniger Globalisierung die Preise an. Zur Deglobalisierung kommen noch die Inflationstreiber Dekarbonisierung und Demografie hinzu. «Für Nationalbanken ist es so recht schwierig, die Inflation wegzukriegen», sagt Krämer.
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Die Inflationsbekämpfung hat ihren Preis. «Um das Nachfragewachstum zu bremsen, bedarf es anhaltender Perioden geringeren Wachstums», sagte Powell zuletzt. Der Fed-Chef hat sich ein Soft Landing als Ziel gesetzt. Doch eine überhitzte Wirtschaft zu bremsen, ohne sie in die Rezession zu schicken, gelingt nur selten. Denn eine Volkswirtschaft ist kein perfekt abgestimmter Formel-1-Wagen, sondern ein behäbiger Tanker, der sich nur schwer und ungenau steuern lässt. Erschwerend hinzu kommt die Heftigkeit des Bremsmanövers. Nachdem sie das Ausmass der Inflation zu lange falsch eingeschätzt hatten, mussten die Geldpolitiker geradezu in die Bremsen springen. «Wir sahen den grössten Zinsschock seit den 1980er Jahren», sagt Bantleon-Chefökonom Daniel Hartmann.
Entscheidend: Die anhaltend grosse Zahl der neu geschaffenen Jobs erschwert die Inflationsbekämpfung der Fed. Die Notenbanken sollten die Anleger im Auge behalten.
US-JOBMARKT Auf jeden Arbeitssuchenden kommen 1,7 offene Stellen.
Newsday via Getty ImagesUS-JOBMARKT Auf jeden Arbeitssuchenden kommen 1,7 offene Stellen.
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«Die entscheidende Frage für die USA ist, ob die Fed genug Dampf aus dem US-Arbeitsmarkt nehmen kann, ohne eine Rezession auszulösen, um eine Rückkehr der Inflation auf 2 Prozent zu erreichen. Meiner Meinung nach ist die Antwort ein klares Nein», so Nikolaj Schmidt, Chefvolkswirt von T. Rowe Price. Mit dieser Meinung ist er nicht allein. Der Grossteil der Experten rechnet in den USA mit einer leichten und in Europa mit einer etwas tieferen, aber auch nicht heftigen Rezession. «Die Einkaufsmanager-Indizes rund um den Globus wanderten von Grün auf Gelb und werden jetzt schön langsam rot. Wir werden sehr wahrscheinlich in eine Rezession hineinrutschen», sagt Werner Krämer. Für diese Prognose stützt er sich zudem auf die inverse Zinskurve, in der Vergangenheit ein recht zuverlässiger Indikator für Rezessionen.
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«Es ist die am meisten angekündigte Rezession, an die ich mich erinnern kann», sagt Matthias Hoppe von Franklin Templeton. Bei Aktienanlagen spricht allzu grosser Konsens häufig dafür, dass es anders kommt. Bei der Prognose von wirtschaftlichen Einbrüchen ist das weniger der Fall. «Am Markt wird die grösste Sorge nächstes Jahr nicht mehr die Inflation, sondern die Rezession sein», prognostiziert Guillermo Felices, Investmentstratege bei PGIM Fixed Income.
Die drei wichtigsten Wirtschaftsmächte befinden sich konjunkturell in verschiedenen Phasen. Während die Wirtschaft in den USA noch leicht wächst, dürfte die europäische Wirtschaft bereits schrumpfen. China hingegen hat den grössten Teil der Schwächephase womöglich bereits hinter sich. «Die werden Schritt für Schritt rauskommen», sagt Gergely Majoros von Carmignac. In den Vereinigten Staaten ist es eine ganz klassische Rezession im Konjunkturzyklus. Die Notenbanken bremsen dort eine überhitzte Wirtschaft ein. In Europa hingegen kann von Überhitzung keine Rede sein. Hier lasten vor allem die hohen Energiepreise auf der Konjunktur. Für Jonathan Butler von PGIM Fixed Income ist die Rechnung einfach: «Ist Energie teurer und nicht ausreichend verfügbar, wird weniger produziert, dann schrumpft die Wirtschaft.»
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Nachfrage sinkt: Die allgemeine Teuerung frisst das frei verfügbare Einkommen der Konsumenten auf. Noch ist unklar, wie robust die Ausgaben der Konsumenten bleiben. Der Verfall der Einkaufsmanager-Indizes ist ein Hinweis, dass sich die Nachfrage bereits abgeschwächt hat.
ABSCHWÄCHUNG der Nachfrage kann bereits beobachtet werden.
Getty ImagesABSCHWÄCHUNG der Nachfrage kann bereits beobachtet werden.
Getty ImagesAuch wenn die Gaslager gefüllt und die Preise wieder gesunken sind, bleibt Europa die Energiekrise wohl noch länger erhalten. Für die kommenden Winter ist die Versorgung trotz der neuen Flüssiggas-Terminals keineswegs sichergestellt. «Europa ist noch nicht über den Berg», sagt Candriam-Expertin Florence Pisani. Knappheit lasse sich im kommenden Jahr nur unter sehr günstigen Bedingungen vermeiden, also mit einem milden Winter und der Fähigkeit, sich weiterhin Alternativen und Flüssiggas zu sichern. Noch dazu wird China 2023 wohl wieder zum Leben erwachen und verstärkt in den Kampf um die Energieressourcen eintreten.
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Die Energiekosten und die allgemeine Teuerung fressen das frei verfügbare Einkommen auf. «Konsumenten leiden unter einem enormen Kaufkraftentzug», sagt Bantleon-Experte Hartmann. Nach den ersten Weihnachten, die wieder in einer gewissen Normalität gefeiert werden können, dürften viele den Gürtel enger schnallen. Für DWS-Fondsmanager Marcus Poppe ist die entscheidende Frage, wie robust der Konsum bleibt. Bisher wurden die Covid-Ersparnisse ins Rennen geschickt. Doch die werden nach und nach verbraucht. In den USA fielen die Sparquoten zuletzt so stark wie seit Langem nicht. Der Verfall der Einkaufsmanager-Indizes ist ein Hinweis, dass sich die Nachfrage bereits abgeschwächt hat. Trotz der jüngsten Produktionskürzungen haben sich die unverkauften Lagerbestände so stark erhöht wie nie seit der Erhebung der Daten. Auch der Rückgang in der Bauindustrie ist ein Warnzeichen.
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Üblicherweise folgt Europa den USA in die Rezession. Dieses Mal dürfte es umgekehrt sein. «Wir werden in Europa im neuen Jahr schnell sehr schlechte wirtschaftliche Daten sehen», sagt PGIM-Experte Butler. Der weniger von Energie abhängigen Schweiz traut man trotz der engen Verbindungen in die Welt zu, an der Rezession vorbeizuschrammen.
Bedrohend: Auch wenn die Gaslager gefüllt werden konnten, ist Europa noch nicht über den Berg. Versorgungsengpässe können 2023 nur unter sehr günstigen Bedingungen vermieden werden. Anschläge auf Pipelines wie jene in Moldawien sind ein Horrorszenario.
ANSCHLAG auf eine Pipeline in Moldawien.
BloombergANSCHLAG auf eine Pipeline in Moldawien.
BloombergHat China die Weltwirtschaft immer wieder beschleunigt, steht die Konjunkturlokomotive derzeit auf dem Abstellgleis. Das Platzen der Immobilienblase und die Covid-Politik setzen der zweitgrössten Volkswirtschaft gehörig zu. In dem verstärkt auf die eigene Binnenwirtschaft setzenden Land liegt die Stimmung der Konsumenten am Boden. Anton Brender, Chefökonom von Candriam, sorgt sich um die hohe Jugendarbeitslosigkeit und nimmt sogar den Begriff Depression in den Mund. Ein Drohszenario liefert Japan, das sich von einem Crash auf dem überhitzten Immobilienmarkt mehr als ein Jahrzehnt nicht erholte. Schon jetzt sind die Auswirkungen weitverzweigt. So können sich die Lokalregierungen, die für Infrastruktur- und Sozialprojekte sorgen müssen, kaum mehr durch den Verkauf von Land finanzieren. «China war ein wichtiger Motor für die Weltwirtschaft – der ist aber ausgefallen und wird so schnell nicht wieder kommen», sagt Marcus Poppe von DWS.
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Die Wirtschaft lahmt, gleichzeitig ist die Liste der potenziellen Risiken lang. Nikolaj Schmidt von T. Row Price hält eine Wiederholung der Staatsschuldenkrise in der Eurozone durch die höheren Zinsen für eine mögliche Gefahr. «Darüber hinaus scheint das Zinsniveau mit ziemlicher Sicherheit einen weltweiten Immobilienabschwung auszulösen», sagt er. Alpian-CIO Victor Cianni wiederum sorgt sich über den Schattenbankenmarkt, der inzwischen für die Hälfte der weltweiten Finanzanlagen aufkommt. «Ein Einbruch der Liquidität könnte zum Problem werden. Das wäre ein klassischer schwarzer Schwan.»
Es ist kaum möglich, die ganzen Gefahrenszenarien in Portfolios umzusetzen. Auch sollte man sich nicht verunsichern lassen und gar nicht investiert sein. Historisch blicken erfahrene Anleger über die kurzfristigen Schwierigkeiten hinweg auf bessere Zeiten. Die Kurse klettern dabei die «Wall of Worries», die Mauer der Sorgen, hinauf. «Es gibt einige Risiken, aber es ist nicht mehr der richtige Zeitpunkt, extrem vorsichtig zu sein», sagt Carmignac-Experte Gergely Majoros.
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UNTERSCHÄTZT Die Inflationsvorhersagen lagen ständig daneben.
CandriamUNTERSCHÄTZT Die Inflationsvorhersagen lagen ständig daneben.
CandriamFür LFDE-CIO Olivier de Berranger sind die Aktienmärkte kein «Screaming Buy». Aber nach der Korrektur sei das Niveau in jedem Fall für langfristig orientierte Anleger wieder einladender. Drei Jahre nach einem Bärenmarkt waren die Verluste in 90 Prozent der Fälle wieder wettgemacht und nach fünf Jahren in allen Fällen. «Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass man auf Sicht von drei bis fünf Jahren Geld verdient», sagt de Berranger. Gemäss Sonja Laud von LGIM werden Aktien vor der Rezession ihren Tiefpunkt erreichen. «An diesem Punkt sind wir aber im Moment noch nicht.» Rückblickend waren laut Laud Gewinnrevisionen ein guter Indikator. War genug Pessimismus in den Gewinnerwartungen enthalten, gab es wieder Spielraum für positive Überraschungen.
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Häufig endet ein Abschwung mit einem grossen Ausverkauf. Die sogenannte Kapitulation mit Verlusten von 60 Prozent oder mehr hat man mit Ausnahme einiger zuvor heiss gelaufener Teile des Technologiesektors nicht gesehen. Auch haben Privatanleger 2022 nur kleine Teile ihrer Aktienportfolios verkauft. Die Volatilität ist in dieser Korrekturphase auch nicht wie 2020 auf extreme Niveaus hochgeschossen.
«Am Ende eines Bärenmarktes gibt es üblicherweise einen Favoritenwechsel», weiss David Ross, bei LFDE Portfoliomanager eines World Equity Growth Fund. So waren nach der Dotcom-Blase Tech-Aktien lange ausser Mode. Nach der Finanzkrise fanden die Anteilsscheine von Banken trotz einiger Erholungsversuche am Ende nicht mehr in die Depots zurück. Geht es nach Victor Cianni von Alpian dürften ehemals gehypte Marktsegmente wie Technologie, digitale Vermögenswerte und bestimmte Privatanlagen einen «Winter» erleben, also einige Zeit nicht mehr gefragt sein. Intuitiv rechnen Anleger damit, dass bei einem Rebound vor allem jene Anlagen steigen, die vorher am stärksten verloren haben. «Wir bezweifeln das», sagt Cianni. «Die Zeiten, als Wachstumsaktien zu jedem Preis gekauft werden, sind erst einmal vorbei», sagt DWS-Fondsmanager Poppe.
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Ausgeklinkt: Die Covid-Politik hat den Motor der globalen Konjunktur lahmgelegt. Wird weiter gelockert, könnte er langsam wieder auf Touren kommen.
CHINA könnte bald wieder auf Touren kommen.
AFPCHINA könnte bald wieder auf Touren kommen.
AFPIn den USA fand nach der Übertreibung von 2021 im abgelaufenen Jahr der grösste Verfall der Kurs-Gewinn-Verhältnisse seit 1973 statt. Billig sind US-Aktien trotz dieser Zäsur noch nicht. Die Shiller PE Ratio fiel zwar von 37 auf 29, ist aber noch meilenweit vom Durchschnitt von 17 entfernt. Zudem kommen die Gewinne unter Druck. «Ich denke nicht, dass die derzeitigen Bewertungen die Rezession bereits vollständig einpreisen. Deshalb sind wir im Moment bei Aktien eher vorsichtig», sagt Sonja Laud von LGIM. PGIM-Experte Butler rechnet mit einer Gewinnrezession im ersten Halbjahr: «Den Fall des Gewinnwachstums auf Rezessionsniveau haben wir noch nicht gesehen.» Er wäre vorsichtig, einer Rally hinterherzulaufen. Bantleon rechnet in den USA und Europa 2023 mit einem Rückgang der Firmengewinne um 10 bis 20 Prozent. Laut Chefökonom Daniel Hartmann ist der Druck auf die Gewinnmargen durch höhere Kosten für Löhne und Rohstoffe «so stark wie seit Jahrzehnten nicht».
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Lisa Shalett von Morgan Stanley Wealth Management spricht bei den Erwartungen der Firmen von «Wahnvorstellungen». Im Bereich von E-Commerce, sozialen Medien und Konsumgütern befürchtet sie «ein böses Erwachen».
Marcus Poppe rechnet an den Aktienmärkten 2023 auch mit recht grossen Schwankungen und nur «moderaten Chancen»: «Wir erwarten keinen ausgeprägten Aufschwung auf breiter Front. Es gibt nicht viel Aufwärtspotenzial bei globalen Aktien, wir müssen realistisch sein.» Vergleichsweise gross sind die Erwartungen vieler Experten an Europa. «Die Aussichten für Europa sind heute so gut wie lange nicht mehr, auch wenn Europa im nächsten Jahr wahrscheinlich eine Rezession erleben wird», sagt Jamie Mills O’Brien von Abrdn. Wegen der Gaskrise haben sich Investoren im grossen Stil aus Europa zurückgezogen. 40 Wochen in Folge wurden von internationalen Investoren mehr europäische Aktien verkauft als gekauft. «Das Exposure in europäischen Aktien ist im Vergleich zur Bedeutung des Marktes sehr gering», sagt de Berranger von LFDE. Laufen die Dinge in Europa nun besser als befürchtet, fliesst Geld in den Markt zurück. Ähnlich gemieden wurde China. Hier wirkt ein Ende der Lockdowns auch für die Börsen befreiend.
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Beunruhigend: Üblicherweise folgt Europa den USA in die Rezession. Dieses Mal wird es umgekehrt sein. Bald im neuen Jahr dürfte die Rezession zur Gewissheit werden. Deutliche Warnzeichen liefert der Rückgang der Bauindustrie auf beiden Seiten des Atlantiks.
WARNZEICHEN Der Rückgang der Bauindustrie ist ein deutliches Warnzeichen.
picture alliance / Winfried RothWARNZEICHEN Der Rückgang der Bauindustrie ist ein deutliches Warnzeichen.
picture alliance / Winfried RothAuch bei Schweizer Qualitätsaktien schoss die Bewertung über vernünftige Niveaus hinaus. Nach der Korrektur sind Anleger mit Schweizer Titeln jedoch nicht schlecht beraten. Der defensive Markt entwickelt sich in der Regel überdurchschnittlich, wenn der Pessimismus steigt. «In einem von nachlassendem Wachstum und Volatilität geprägten Umfeld dürften Schweizer Aktien eine Outperformance erzielen», prognostiziert die CS. Auch sind die Margenniveaus in der Schweiz im internationalen Vergleich hoch und laut Vontobel auch besonders stabil. Den vielen Marktführern kommt in schwierigeren Zeiten ihre Preissetzungsmacht zugute.
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Nun sind Investoren 2023 nicht mehr auf die Aktienmärkte beschränkt. TINA, das lange gültige Akronym für «There is no alternative», hat keine Gültigkeit mehr. «Die Bond-Guys sind zurück im Wettbewerb», sagt DWS-CIO Björn Jesch. Anders als bei Aktien hat es bei Obligationen wohl einen finalen Ausverkauf gegeben. Weil die Zinsen stiegen, fielen die Kurse an den Bondmärkten 2022 so stark wie selten zuvor. Lagen die Renditen für Staatsanleihen vor dem Sell-off überwiegend im negativen Bereich, waren etwa in den USA vorübergehend wieder 4 Prozent zu holen. «Nach dem Anpassungsprozess gibt es wieder Renditen, wie wir sie in den letzten 10 bis 15 Jahren nicht hatten», sagt Sonja Laud von LGIM. Selbst in der Schweiz bieten zehnjährige «Eidgenossen» wieder mehr als ein Prozent. 2022 brachen Bonds mit den Aktienkursen ein und wurden ihrer Aufgabe als Stabilitätsanker ganz und gar nicht gerecht. «2023 dürften Anleihen wieder besser diversifizieren. Wird das schwächere Wachstum eingepreist, sollten die Kurse bei länger laufenden Bonds steigen, während Aktien korrigieren», so Hoppe von Franklin Templeton.
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BOND-REVIVAL Portfolios aus je 50 Prozent Aktien und Obligationen wird wieder mehr zugetraut.
BOND-REVIVAL Portfolios aus je 50 Prozent Aktien und Obligationen wird wieder mehr zugetraut.
Chancen sehen Experten vor allem bei Unternehmensanleihen. «Man wird für die Risiken, die man eingeht, wieder bezahlt», sagt Olivier de Berranger von LFDE, fünfjährige mit BB geratete Firmenanleihen bieten 5 bis 7 Prozent, ab B– sind es dann schon 9 Prozent. «Im High-Yield-Bereich hat der Markt eingepreist, dass die Hälfte der Emittenten pleitegeht, das wird aber nicht passieren», so de Berranger.
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Laut PGIM-Experte Butler sollten Anleger, die an High Yields interessiert sind, jedoch noch etwas zuwarten. Trübt sich die Konjunktur ein und wird die Rezession dann vom Markt anerkannt, werden die Kurse nochmals fallen. «Das wäre dann der richtige Einstiegszeitpunkt.» Währungsrisiken müssen Anleger im Blick haben. Vor allem der Dollar befindet sich auf einem sehr hohen Niveau.
Wer die hohen Kosten für die Absicherung vermeiden will, kann sich auch in der Schweiz umsehen. Auch hier befinden sich die Risikoaufschläge für Unternehmensanleihen im historischen Vergleich auf einem attraktiven Niveau. «Sie reflektieren ein pessimistisches Szenario, das wir so nicht teilen», sagt Anna Holzgang, Head of Global & Swiss Bonds bei Vontobel. Ihrer Meinung nach soll sich die Ausfallwahrscheinlichkeit deutlich unter den eingepreisten Niveaus halten. Sie hebt Energieversorger aus dem Bereich Wasserkraft hervor. Sollten sich die Inflationsraten entspannen, braucht es weniger belastende Zinssteigerungen. Eine Abkühlung der Konjunktur würde zu Kursgewinnen führen. Holzgang: «Wenn entscheidende Überraschungen ausbleiben, könnte 2023 ein gutes Jahr für Obligationen werden.»
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«Die Renditen im High-Yield-Bereich sind an einem Punkt, wo die Leute sagen, das schaue ich mir an», sagt Werner Krämer. Der Lazard-Experte traut Obligationen 2023 sogar höhere Gewinne zu als Aktien. Das 60:40-Portfolio, das Anlegern 2022 so schwere Verluste brachte, hat wieder seine Berechtigung. J.P. Morgan AM sagt für ein 60:40-Portfolio über die nächsten ein bis zwei Zyklen eine jährliche Rendite von 5,1 Prozent voraus.
WUNSCHSZENARIO Die Fed glaubt noch an ein Soft Landing. Vieles spricht aber für eine leichte Rezession.
Datastream / Federal Reserve / CandriamWUNSCHSZENARIO Die Fed glaubt noch an ein Soft Landing. Vieles spricht aber für eine leichte Rezession.
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