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Big Business Outdoor: Wandern, Trekking und Camping liegen im Trend

Outdoor-Artikel-Anbieter werden überrannt. Ausrüstung für Wandern und Co. ist gefragt wie nie. Und wird selbst im urbanen Raum immer beliebter.

Bastian Heiniger

Wandern Berge Outdoor

Wander-Boom: Nach dem Lockdown haben sich Herr und Frau Schweizer besonders gerne in den Bergen erholt.

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Ein erfrischender Windstoss huscht durch die Äste. Tief unten glitzert das Wasser, oben ein Himmel aus blauer Seide. Das perfekte Naturidyll wird jäh gestört, als sich Ausflügler in Sandalen und Turnschuhen grölend vorbeischieben. Klar, Yukon-Romantik ist dieser Tage kaum noch zu finden in der Schweiz. So wie an diesem Sonntag auf dem Zürcher Uetliberg war es hierzulande in letzter Zeit fast überall. Heerscharen von Wanderwütigen pflügen sich bei Sonnenschein die Pfade hoch auf den Mythen, in den Alpstein oder zum Oeschinensee. Rentner jagen mit E-Bikes über Pässe, die Ufer von Bergseen verkommen zu wilden Campingplätzen. Alphütte statt Strandbar, das ist die Devise in diesem Sommer und Herbst.

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Corona hat die traditionelle Reisebranche in Schockstarre versetzt. Und eine neue Abenteuerlust geweckt. Wandern, Campen und Bergsport sind populär wie nie. Nicht nur der grösste Campingplatzbetreiber TCS meldet neue Rekordergebnisse und verlängert die Saison. Anbieter von Wander- und Campingausrüstung werden überrannt.

Outdoor im Trend

«Viele Leute haben Outdoor-Aktivitäten neu entdeckt. Auch weil es gut ist für die Gesundheit», sagt Patrick Bundeli, CEO von Intersport Schweiz. Die Franchisekette mit 270 Verkaufsstellen, mehr als 130 davon in Bergregionen, setzt laut Bundeli im Segment Wandern, Outdoor und Running seit Aufhebung des Lockdowns doppelt so viel um wie in der Vorjahresperiode.

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Er ist zuversichtlich, dass Intersport dieses Jahr trotz der temporären Schliessungen mit einem blauen Auge davonkommt. Obwohl der ganze Teamsport-Bereich leidet, die Fussball-EM ausfiel und Modeartikel in den Regalen bleiben. «Die Kunden wollen funktionale Kleider», sagt er. Regenjacken, Rucksäcke, Trekkinghosen. «Sobald es modisch wird, sind die Absätze schlechter als im Vorjahr.»

Die Kluft ist drastisch: Während der allgemeine Handel mit Fashion und Schuhen bis Juli mit 22 Prozent im Minus dümpelt, liegt das Outdoorsport-Segment für die Monate Juni und Juli mit 20 Prozent im Plus, wie Zahlen des Marktforschungsinstituts GfK zeigen. «Das Klischee von roten Socken und angestaubten Bergschuhen ist Geschichte», sagt Kurt Meister, Sportverantwortlicher bei GfK. «Gerade bei jungen Konsumenten ist Outdoor im Trend.» Mit 440 Millionen Franken macht dieses Segment bereits ein Viertel des gesamten Sportmarktes aus.

Das Wanderwunder spiegelt sich zunehmend im innerstädtischen Strassenbild. Statt feines Tuch und edles Schuhwerk trägt man vermehrt auch festere Treter und expeditionstaugliche Goretex-Kleidung, um seine Naturverbundenheit zu demonstrieren. Mammut statt Prada?

««Mammut ist für Aktivitäten oberhalb der Baumgrenze entstanden. Nun erobern wir vermehrt auch die Städte.»»

Oliver Pabst, Mammut-Chef

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So weit würde Mammut-Chef Oliver Pabst natürlich nicht gehen. Allein mit dem Begriff «Modemarke» hat er Mühe. «Mammut ist für Aktivitäten oberhalb der Baumgrenze entstanden», sagt er. «Nun entwickeln wir uns auch für unterhalb davon.»

Konkret drängt der Schweizer Bergsportgüter-Hersteller neben seiner Kernsparte verstärkt in den urbanen Raum. Im Vordergrund seien trotz frischem Design aber stets Qualität und Funktionalität: leichte Kleidung, Atmungsaktivität und gute Verstaubarkeit. Eigenschaften, die Kunden in den Städten mehr und mehr nachfragen. Mit dieser Strategie und der Stärkung der digitalen Kanäle hat Pabst, der 2016 zu Mammut stiess, die Marke wieder in die Gewinnzone geführt.

Geholfen habe sicher auch das in den letzten Jahren gestiegene Interesse an Natur- und Umweltthemen. Mammut rückte das Thema Nachhaltigkeit schon früh in den Fokus. So unterstützt die Marke etwa die Gletscherinitiative, Kunden werden zudem animiert, Produkte intern reparieren zu lassen, und Ende 2019 kam eine erste Leftover-Kollektion auf den Markt – T-Shirts, die mit Reststoffen aus der Produktion hergestellt werden. «Wir wollen den Menschen die Natur näherbringen», sagt Pabst. «Und da hat Nachhaltigkeit einen essenziellen Stellenwert.»

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Naturerlebnisse bietet der Brand mit seiner Mammut Alpine School. Buchen lassen sich dort diverse Outdoor-Aktivitäten, von der eintägigen Gletscherwanderung bis zur siebentägigen Tour quer durch die Alpen oder einem Kletterkurs für Einsteiger. «Im Sommer waren die meisten Touren und Kurse ausgebucht.»

Oliver Pabst Mammut

Obwohl die Marke die Profitabilität verbesserte, will sie der Mutterkonzern verkaufen. Laut Mammut-Chef Oliver Pabst gibt es internationale Interessenten.

Maurice Haas / PD
Oliver Pabst Mammut

Obwohl die Marke die Profitabilität verbesserte, will sie der Mutterkonzern verkaufen. Laut Mammut-Chef Oliver Pabst gibt es internationale Interessenten.

Maurice Haas / PD

Mammut wird trotzdem verkauft

Trotz der mehr als freundlichen Aussichten für die Traditionsmarke hält der Mutterkonzern Conzzeta an seinem Plan fest, Mammut zu verkaufen. Und sich künftig rein auf die Blechbearbeitung zu konzentrieren. Corona hat den Verkaufsprozess zwar verzögert. «Es gibt jedoch nach wie vor international ein grosses Interesse», sagt Pabst. «Bis Mitte des nächsten Jahres sollte der Verkauf abgeschlossen sein.» Mehr gibt er derzeit nicht preis.

Als mögliche Käufer gehandelt werden etwa Anta Sports aus China, das US-Unternehmen Callaway, das 2019 Jack Wolfskin übernommen hat, oder die ebenfalls amerikanische VF Corporation mit Outdoormarken wie The North Face, Napapijri oder Timberland im Portfolio.

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Mammut geht wahrscheinlich ins Ausland, wenn auch Entwicklung und Qualitätskontrolle in der Schweiz bleiben sollen. Ein neuer Besitzer dürfte die Marke auf die nächste, globalere Stufe heben. Internationale Brands wie die amerikanische Patagonia oder die schwedische Fjällräven werden längst nicht mehr nur von Outdoor-Enthusiasten getragen, sie gehören weltweit zu beliebten Erkennungszeichen von Mainstream-Hipstern.

Dass das Design für Outdoor-Bekleidung immer wichtiger wird, kommt in der Kernszene nicht nur gut an. Bamidele Engel etwa hat zusammen mit seiner Frau nach vielen gemeinsamen Reisen und Bergtouren vor zehn Jahren Trailshop.ch mit einer Filiale in Küssnacht am Rigi eröffnet.

«Es wird für uns immer schwieriger, Produkte zu finden, die unsere Ansprüche überhaupt noch erfüllen», sagt er. Der Style werde zunehmend über die Funktion gestellt.

Das Ehepaar hat sich auf Leichtgewichtausrüstung für verschiedenste Outdoor-Aktivitäten spezialisiert. Aussehen sei da zweitrangig. So finden Kunden bei ihnen etwa Ausrüstung mit Rucksack, Zelt, Matte und Schlafsack, die insgesamt kaum zwei Kilogramm wiegt. «So viel wie bei manchen allein der Rucksack», sagt Engel. Ihr Laden sei eigentlich ein Geheimtipp für Freaks. Oder eher: Er war es bisher. Denn seit der Wiedereröffnung im Mai sei der Teufel los. «Es kam ein Tsunami an Kunden, der uns fast plattdrückte.»

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««Die romantischen Bilder mit Schlafsack unter freiem Sternenhimmel auf Instagram sind meistens gestellt.»»

Bamidele Engel, Trailshop.ch

Erstaunt hat Engel besonders, dass nun viele blutige Anfänger den Weg in seinen Laden finden. Kunden, die eine ganze Ausrüstung brauchen.

«Viele haben eine falsche Vorstellung vom Übernachten in den Bergen», habe er festgestellt. «Die romantischen Bilder mit Schlafsack unter freiem Sternenhimmel auf Instagram sind meistens gestellt.» Luftfeuchtigkeit und der Tau seien Spielverderber. «Je nach Wetterlage ist man morgens platschnass», sagt Engel. Da helfe selbst ein Biwaksack wenig. Schmoren im eigenen Saft, sage er dazu spasseshalber. In den Bergen sei ein doppelwandiges Zelt unabdingbar. Aber genau für solche Informationen kommen die Kunden ja ins Fachgeschäft.

An illuminated tent  under full Moon at Matterhorn in Switzerland

Wildes Campieren: Idyllische Campingmöglichkeiten im Freien waren diesen Sommer gefragt. Oft war man aber nicht mehr alleine, wie hier mit Blick aufs Matterhorn.

Getty Images
An illuminated tent  under full Moon at Matterhorn in Switzerland

Wildes Campieren: Idyllische Campingmöglichkeiten im Freien waren diesen Sommer gefragt. Oft war man aber nicht mehr alleine, wie hier mit Blick aufs Matterhorn.

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Kletterausrüstungen sind gefragt

Davon profitiert auch Thomas Morand, CEO des Fachhändlers Bächli Bergsport mit schweizweit zwölf Filialen und einem Sortiment von 40 000 Artikeln. Dass nach dem Lockdown alle in die Natur und in die Berge wollten, war für ihn keine Überraschung. Viele einmalige Kunden in den Läden zu haben, ist allerdings nicht seine Priorität. «Wir legen grossen Wert darauf, bestehende Kundinnen und Kunden mit ihren hohen Ansprüchen zu bedienen, sodass sie gerne wieder kommen», sagt Morand.

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Besonders gut verkauften sich zuletzt neben Wanderschuhen, Schlafsäcken und Zelten die ganzen Kletterausrüstungen: Karabiner, Seile, Klettersteigsets. «Gerade spezialisierte Ausrüstung wird von Einsteigern eher im Laden als auf dem Onlinekanal gekauft.»

Es brauche die Beratung, welche Produkte bei welchen Verhältnissen und Ansprüchen nötig seien. So lassen sich bei Bächli Kundenbegleiter buchen, die einem im Laden für bis zu zwei Stunden zur Seite stehen und je nach Ware eine Schulung geben. Etwa wenn jemand einen Lawinen-Airbag für Skitouren kauft – die korrekte Anwendung ist dann entscheidend.

Obwohl Bächli auch einen Onlineshop betreibt, rechnet Morand deshalb nicht mit einer derart schnellen Verschiebung ins Internet, wie das der Modehandel derzeit erlebt. Und auch für den Herbst und Winter sind Morands Aussichten alles andere als trübe. «Wir spüren, dass immer mehr Leute nicht auf den Pisten fahren wollen und entsprechende Ausrüstung brauchen.»

Ski- und Schneeschuhtouren dürften besonders im Corona-Winter noch gefragter sein, um überfüllten Gondeln und Schlangen vor Sesselliften auszuweichen.

Vorerst geht auch Migros für ihre SportXX-Filialen von einem starken Herbst aus. «Für die anstehende Wander-Hauptsaison erwarten wir einen ungebrochenen Boom», sagt Migros-Sprecher Marcel Schlatter. Outdoor-Bekleidung und Zubehör erfreuten sich seit rund fünf Jahren einer hohen Beliebtheit. «In diesem Jahr ist die Nachfrage nochmals sprunghaft angestiegen.»

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Migros hat bereits 28 Standorte stark auf Outdoor ausgerichtet. Nebst grossen Flächen und spezialisierten Beratern sollen dort Umkleidekabinen im Chaletstil oder Bilder von regionalen Berglandschaften für die passende Atmosphäre sorgen.

Wandern für den Stressabbau

Dem Wanderhype hat die Marketingorganisation Schweiz Tourismus schon letztes Jahr in einer repräsentativen Studie nachgespürt. Befragt wurden Personen in Frankreich, Deutschland, Grossbritannien, den Niederlanden und der Schweiz. Dass die Naturbezogenheit nirgendwo stärker ist als hier, wie die Studie ergab, erstaunt nicht. Das Alpenland bietet mit seinen 48 Viertausendern nicht nur eine spektakuläre Kulisse, mit 65 000 Kilometern hat auch kein anderes Land ein dichteres Netz an Wanderwegen.

Drei Viertel der befragten Schweizer gaben an, sich in der Natur besonders gut von Druck und Stress zu erholen. Wandern wurde als wichtigste Aktivität in der Natur angegeben, steht doch die kontemplative Bewegung in den Bergen in klarem Kontrast zur leistungsorientierten Arbeitswelt.

Schweiz-Tourismus-Direktor Martin Nydegger beobachtet besonders bei jüngeren Gästen seit einigen Jahren eine grosse Wanderlust. Neben den Studienergebnissen würden auch «begeisterte Posts zu Wanderungen und Schweizer Berglandschaften auf Instagram und TikTok davon zeugen», sagt er. In den sozialen Medien wird die Nähe zur Natur zelebriert, und dient sie für manche auch nur als Kulisse für ein Selfie.

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Martin Nydegger, director of Swiss Tourism, poses for a photograph on the premisses of Swiss Tourism in Zurich, Switzerland, on February 5, 2018. (KEYSTONE/Gaetan Bally)Martin Nydegger, Direktor Schweiz Tourismus, portraitiert am 5. Maerz 2018 in den Raeumlichkeiten von Schweiz Toursimus in Zuerich. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

Martin Nydegger: Der Schweiz-Tourismus-Direktor beobachtet gerade bei jüngeren Gästen eine grosse Wanderlust.

Keystone
Martin Nydegger, director of Swiss Tourism, poses for a photograph on the premisses of Swiss Tourism in Zurich, Switzerland, on February 5, 2018. (KEYSTONE/Gaetan Bally)Martin Nydegger, Direktor Schweiz Tourismus, portraitiert am 5. Maerz 2018 in den Raeumlichkeiten von Schweiz Toursimus in Zuerich. (KEYSTONE/Gaetan Bally)

Martin Nydegger: Der Schweiz-Tourismus-Direktor beobachtet gerade bei jüngeren Gästen eine grosse Wanderlust.

Keystone

Unlängst zu einem Lifestyle-Trend geworden ist das Reisen im Van. Der Hashtag #Vanlife vereint auf Instagram schon mehr als acht Millionen Bilder. Meist junge Leute inszenieren damit ihr einfaches, unabhängiges und naturnahes Reiseerlebnis – verpönt sind dabei Campingplätze.

Auf der Internetseite der Schweizer Outdoor-Kette Transa finden Interessierte Tipps für geeignete Orte und erfahren, wie sie sich als Wildcamper verhalten sollen, um die Szene nicht in Verruf zu bringen. «Mit einer eigenen Camping-Toilette bist du im Notfall nie weit von einer Erleichterung entfernt, musst dein Geschäft nicht in der freien Natur verrichten und belästigst keinen», heisst es da etwa. Spätestens in diesem Sommer ist das nämlich durchaus zum Problem geworden, wie verschiedene Szenekenner berichten.

Family and friends sharing a meal together at campsite by lake in mountains

Gefragtes Vanlife: Besonders beliebt sind Reisen im eigenen Van, fernab der Campingplatze. Die Sharing-Plattform MyCamper war im Sommer grösstenteils ausgebucht.

Getty Images
Family and friends sharing a meal together at campsite by lake in mountains

Gefragtes Vanlife: Besonders beliebt sind Reisen im eigenen Van, fernab der Campingplatze. Die Sharing-Plattform MyCamper war im Sommer grösstenteils ausgebucht.

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Mangelware Wohnmobile

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Gerade zur richtigen Zeit gestartet ist das Schweizer Start-up MyCamper. Auf der Sharing-Plattform gibt es bereits 1200 Wohnmobile zum Mieten. «Im Juli war es schwierig, noch einen freien Camper zu finden», sagt Mitgründerin Mirjam Affolter. «Camping hat sich in den letzten Jahren bei jungen und urbanen Leuten stark etabliert.» Das biedere Image sei Vergangenheit.

Den Camper-Trend spürt natürlich auch der grösste Campingplatzbetreiber TCS mit seinen 24 Standorten. «Vom Juni an wurden wir überschwemmt von Schweizer Campern» sagt Oliver Grützner, Leiter Tourismus & Freizeit beim TCS. In nur drei Monaten erzielte der Touring Club Schweiz damit mehr Logiernächte als in den sechs Monaten 2019 – obwohl es damals mit gut einer halben Million Logiernächten schon ein Rekordjahr war.

«Wir hatten viele Gäste, die vorher in Südfrankreich oder Kroatien Ferien gemacht hatten und nun die Schweiz neu entdeckten», sagt er. Noch immer sehr gefragt sind an diesen Wochenenden die Glamping-Angebote, Lodges, Chalets und Bungalows, die Luxusvariante auf dem Zeltplatz.

In diese Richtung will sich der TCS künftig stärker entwickeln. Weg vom Kasernen-Image und hin zum komfortablen Resort. Das krasse Gegenteil also zum naturnahen, unabhängigen Lebensgefühl, das Anhänger der Vanlife-Szene suchen. Aber das macht eben die Stärke der gesamten Outdoor-Branche aus: Dank der vielen Ausprägungen befriedigt sie verschiedenste Bedürfnisse und bringt Jung und Alt, Sportler und Geniesser sowie städtische und ländliche Bevölkerung zusammen.

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Sie alle suchen letztlich dasselbe: ein Erlebnis in der Natur. Und davon werden die Händler auch nach Corona noch profitieren.

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