Guten Tag,
Wegen toten Fischen geriet eine Firma in die Medien, die bis anhin die Öffentlichkeit mied: Marti, die Nummer 2 im hiesigen Baugeschäft.
Florence Vuichard
&Bastian Heiniger
Bisher scheute Marti das Licht, nun öffnet der Berner Konzern seine Türen.
Benjamin Güdel für BILANZWerbung
Das charakteristische M ist omnipräsent. Am Roche-Turm zu Basel, beim Gubrist- oder Belchentunnel, beim CERN in Genf und am neuen Stadion des Zürcher Eishockeyclubs ZSC. Fallen spektakuläre Bauarbeiten an, rücken nicht selten die Mitarbeiter von Marti aus. Doch wer steckt dahinter? So bekannt das Logo, so verschwiegen die Besitzer und ihre Chefs. Gesellige Wirtschaftsanlässe meiden sie, Interviewanfragen schlagen sie aus, Fotos von ihnen gibt es nicht.
Die Verschwiegenheit hat Tradition. Und ist zu einer Art Religion geworden im Hause Marti. Diese besagt, dass Gott die Presse eigentlich nur erschaffen habe, um die Baufirma zu quälen. Die Patrons sind mit dieser Haltung gut gefahren, jedenfalls bis jetzt. Doch dann sind im Mai ein paar tote Fische aufgetaucht. Im Blausee, einem international bekannten Ausflugsziel, beliebten Instagram-Hotspot und Naturpark mit Restaurant, Hotel und Bioforellenfarm im Berner Oberland. Und plötzlich steht Marti mittendrin im Umweltskandal, der so schnell nicht abklingen dürfte. Und plötzlich geht die altbewährte Nicht-Kommunikations-Strategie nicht mehr auf. Ein sanfter Bekehrungsprozess wird eingeleitet: Und so öffnet Marti erstmals die Tür am Hauptsitz im bernischen Moosseedorf, wenigstens einen Spaltbreit.
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Auf einem etwas abseits gelegenen Industrieareal stehen diverse Gebäude, viel Material, Baumaschinen und ein unprätentiöser Bürokomplex: die Firmenzentrale. Von hier aus werden die 80 Tochterfirmen mit rund 7000 Mitarbeitern gesteuert. Im Sitzungszimmer, von dem man auf eine Wiese sieht, durch die alle paar Minuten ein BLS-Zug rollt, warten zwei Männer, die zum innersten Zirkel des Marti-Imperiums gehören. Da ist Rolf Blatter, Anwalt, vor 25 Jahren an Bord geholt, als die Zürcher Tochter im Zuge der Immobilienkrise der 1990er Jahre mächtig in Schieflage geriet.
Heute ist er Verwaltungsrat, er selbst bezeichnet sich aber lieber als «Vordenker». Der Mann mit nach hinten gebundenen grauen Haaren, Bart, Ledergilet, aus dem die goldene Kette einer Taschenuhr herauslugt, ist so etwas wie die Anlaufstelle für alle Sorgen im Konzern. Und da ist Finanzchef Daniel Schorro, seit 31 Jahren in der Firma, ein Freiburger, ein «Oranger», wie er selbst sagt, weniger wegen seiner CVP-Mitgliedschaft, sondern weil er bei der Freiburger Tochter Antiglio Karriere gemacht hat, bevor 2008 der Ruf aus der Zentrale ertönte.
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Die beiden Alleinbesitzer der Firma, Reto Marti und sein Vater Rudolf, lassen sich hingegen nicht blicken, bleiben Phantome im Hintergrund. «Die Martis sind halt keine geschliffenen ‹Bänker›», sagt einer aus der Baubranche, keine mit Yachten und sieben Ferienhäusern. Auf dem Bau seien viele Chefs eher hemdsärmelige Typen. «Ruedi» habe die Aura eines Patrons der alten Schule, sein Sohn Reto sei anders, habe lange Haare, meistens zum Rossschwanz gebunden, ein «trendiger Typ», der nach seiner Finanzausbildung an einer Hochschule den Betrieb von der Pike auf kennengelernt habe.
Dass die Martis nun aus der Reserve gelockt werden, hat ironischerweise mit der «geschliffenen» Schweizer Wirtschaftselite zu tun. Denn der Blausee gehört seit 2014 einem illustren Trio: dem Co-Gründer des Swiss Economic Forum Stefan Linder, Globetrotter-Chef André Lüthi sowie dem früheren Nationalbank-Präsidenten und Blackrock-Manager Philipp Hildebrand. Für sie ist der Blausee ein Geschäft, vor allem aber ein Liebhaberobjekt, eine emotionale Geschichte, weshalb sie wissen wollen, wer schuld ist am Tod von bis zu 140'000 Forellen.
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Sie haben eine «Taskforce» zusammengestellt, Proben genommen, Kanton und Polizei alarmiert. Und sie haben selber weiterrecherchiert – und wurden fündig beim rund 1,5 Kilometer vom Blausee entfernten Steinbruch. Dort beobachteten sie, wie im Frühsommer alle paar Nächte Bauzüge aus dem unweit liegenden Lötschberg-Scheiteltunnel, dessen Fahrbahnen Marti im Auftrag der BLS derzeit saniert, in den Steinbruch fuhren: Dort wurden die offenen, mit Altschotter gefüllten Container auf Lastwagen umgeladen, welche dann das Material zum Grubenrand hochfuhren und von dort in die Grube kippten.
Das Blausee-Trio: Philipp Hildebrand, Stefan Linder und André Lüthi (v. l.) wollen wissen, wer ihre Fische vergiftet hat – und haben Strafanzeige gegen unbekannt eingereicht. Ein Akt, der auch Marti in Bedrängnis bringt.
Beat MathysDas Blausee-Trio: Philipp Hildebrand, Stefan Linder und André Lüthi (v. l.) wollen wissen, wer ihre Fische vergiftet hat – und haben Strafanzeige gegen unbekannt eingereicht. Ein Akt, der auch Marti in Bedrängnis bringt.
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Altschotter ist Sonderabfall, der auf Spezialdeponien hätte entsorgt oder in speziellen Waschanlagen gereinigt werden müssen, damit keine giftigen Substanzen in den Boden sickern können. Doch das von Männern mit Marti-Uniformen gelieferte Material wurde am nächsten Tag von Mitarbeitern von Vigier direkt vor Ort aufbereitet, gewaschen, und die Feinfraktionen wurden in der Grube deponiert und mit anderem Material zugedeckt.
Die Blausee-Besitzer sind überzeugt, dass ihre Fische durch die toxischen Substanzen im Altschotter vergiftet wurden, die unterirdisch mit dem Grundwasser in ihre Fischzuchtanstalt sowie in den See gelangt sind. Und so haben sie Strafanzeige eingereicht gegen unbekannt, nicht nur wegen des materiellen Schadens, der sich mittlerweile auf rund zwei Millionen Franken summiert, sondern auch weil sie das Gefühl haben, dass – jedenfalls zu Beginn – niemand an einer lückenlosen Aufklärung interessiert war. Je grösser der Widerstand, auf den sie stossen, desto dezidierter werden sie: «Wir gehen bis vor Bundesgericht, wenn es sein muss», sagt Linder. Und die drei haben alles, was es braucht: Zeit, Ausdauer, Geld und die nötigen Kontakte.
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Die Firma Marti wurde 1922 von Alfred Marti in Bern gegründet, einem gelernten Zimmermann, der später am Technikum in Burgdorf Hochbau studierte. Das inhabergeführte Familienunternehmen wurde danach jeweils von Vater zu Sohn weitergereicht. Seit 2016 ist mit Reto Marti die vierte Generation am Ruder. Seine jüngere Schwester Pamela, eine promovierte Biochemikerin, ist mit Touraj Etezady verheiratet, einem ebenfalls promovierten Molekularbiologen, der zwischen 2007 und 2015 fürs Familienunternehmen arbeitete, zuletzt als Chef der Marti-Investment-Tochter. Mittlerweile hat er sich mit einer Beratungsfirma selbstständig gemacht.
In den knapp 100 Jahren ist Marti zum Grosskonzern herangewachsen und hat etliche Schweizer Wahrzeichen des Fortschritts gesetzt – etwa mit dem Bau der Porta-Brücke im Verzascatal, der Gotthardstrasse, dem AKW Leibstadt, dem Grauholz-Tunnel, dem Pumpspeicherkraftwerk Nant de Drance, der Staumauer in Linthal oder dem Zürcher Prime Tower. Zahlen gibt Marti keine bekannt, der Umsatz dürfte aber in der Grössenordnung von 1,7 Milliarden liegen, womit Marti hinter Implenia das zweitgrösste Bauunternehmen der Schweiz ist.
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Je ein Drittel des Umsatzes erwirtschaftet das Unternehmen mit Hochbau, Tiefbau und Tunnelbau. In der Marti-Familie spricht man lieber vom «grössten KMU der Schweiz», besteht doch die Gruppe aus rund 80 eigenständigen Unternehmen, mit eigenständigen Geschäftsleitungen, eigenständiger Buchhaltung und teilweise eigenen Logos. Die föderale Struktur ist historisch gewachsen und von den Firmenbesitzern so gewollt: «Wir haben der Struktur der Schweiz nachgelebt», sagte Rudolf Marti 1987 zur Gewerkschaftszeitung «Bau + Holz».
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Die etwas unübersichtliche, dezentrale Struktur hat durchaus Vorteile: Denn Bau ist ein lokales Geschäft. Weil es teuer kommt, Material und grosse Maschinen von weit weg auf eine Baustelle zu transportieren. Aber auch, weil die grössten Auftraggeber, die Gemeinden und Kantone, gerne «ihre» Firmen vor Ort berücksichtigen. Wer also eine Ausschreibung gewinnen will, tut gut daran, einen Sitz in der Nähe zu haben.
Geführt wird die Baugruppe, in der bewusst auf die englischen, in der Managerkaste so beliebten Funktionsbezeichnungen verzichtet wird, von fünf Männern, von Familienmitgliedern und ihren Vertrauensleuten: von Verwaltungsratspräsident Reto Marti und Verwaltungsrat Rudolf Marti sowie der Unternehmensleitung, bestehend aus Geschäftsführer Adrian Müller, Finanzchef Schorro und dem neuen Immobilienchef, der im Frühjahr seinen Posten antritt.
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Die fünf stellen gemeinsam mit dem jeweiligen Geschäftsführer die Verwaltungsräte der unzähligen Tochterfirmen. Alle Verwaltungsräte haben Einzelunterschrift, ein Zeichen des gegenseitigen Vertrauens. Ohnehin ist alles sehr schlank gehalten, flach organisiert. Es gibt keinen übergrossen Overhead, was wiederum zu kurzen Wegen und schnellen Entscheidungen führt. Das Kaderpersonal ist gut eingebunden, es herrscht ein starker Korpsgeist, Konkurrenten sprechen vom «Marti-Spirit».
Marti verbreitert die Wertschöpfungskette: Der Baukonzerne reinigt den Zürichsee von Teerablagerungen.
ZVGDie Firma stemmt auch Grossprojekte wie das Pumpenspeicherwerk Linth-Limmern mit einer Staumauer.
ZVGZwischen Basel und Solothurn entsteht das Belchentunnel – eine komplexe Herausforderung für Marti.
ZVGFür das Belchentunnel kam der grösste in der Schweiz je benutzte Bohrkopf zum Einsatz.
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Die Mitarbeiter sind laut Schorro das wichtigste Kapital. Bei deren Sicherheit werde nicht gespart, und auch wenn es ums persönliche Wohl geht, ist Marti grosszügiger als mancher Konkurrent. Und so gehört etwa zu jeder Grossbaustelle eine eigene Marti-Kantine mit eigenem Koch, der für gutes Essen sorgt. «Das ist Wertschätzung gegenüber unseren Leuten», sagt der Finanzchef. Auf Grossbaustellen hat zudem jeder Arbeiter Anrecht auf ein Einzelzimmer mit eigener Dusche und eigenem WC, ein Standard, den die Berner bei den Norwegern abgekupfert haben.
Sogar die kampffreudigen Baugewerkschaften stellen Marti ein relativ gutes Zeugnis aus, die Baugruppe sei zwar nicht Klassenbeste, aber viel besser als viele andere. Marti respektiere die Sozialpartnerschaft und ihre Spielregeln, sei als Arbeitgeber zwar fordernd und auf Effizienz bedacht, behandle aber seine Mitarbeiter «in der Regel» korrekt und fair, heisst es etwa bei der Unia. Das führe zu einer hohen Stabilität und wenig Fluktuation beim Personal.
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Kommt in der Baubranche das Gespräch auf Marti, schwingt in den Aussagen ein Unterton aus Neid, Respekt und Bewunderung mit. Mit Namen zitieren lassen will sich niemand. Die Konkurrenten bezeichnen Marti unisono als harten, oft als knallharten, aber auch sehr erfolgreichen Mitbewerber, als einen, der gute Leute habe, die lange in der Firma bleiben. Für technisch anspruchsvolle, grosse Projekte sei Marti die beste Firma in der Schweiz, sagt einer. Dank langjähriger Erfahrung und hauseigener Kompetenz kann Marti bei Grossprojekten oft allein antreten und muss keine Partnerschaften mit anderen Baufirmen eingehen. Das sei mutig, aber natürlich auch lukrativer. So haben die Berner etwa den 800- Millionen-Franken-Auftrag für das Axpo-Pumpspeicherwerk Linth-Limmern alleine gestemmt, den grössten Bauauftrag in der Firmengeschichte.
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Viele führen Martis heutige Stärke auf eine Niederlage vor rund 20 Jahren zurück: Denn trotz guter Ausgangslage ging Marti bei der Vergabe der Baulose am Gotthard-Basistunnel leer aus. In der Folge hätten die anderen Baufirmen ihre Kapazitäten auf den Gotthard konzentriert, während Marti andere Projekte entwickelt und sich dadurch eine einzigartige Stellung erobert habe. Marti sei innovativ, sogar «Top of the Top», wie es ein Experte ausdrückt, etwa beim Tunnelbau. So hat Marti beim Belchentunnel die grösste Bohrmaschine benutzt, die je in der Schweiz zum Einsatz kam und einen völlig neuen, effizienteren Bauprozess erfolgreich erprobt.
Marti hat schon länger den Ruf, recht unkonventionell, frech und bestimmt zu sein. Und hat immer wieder die Konkurrenz vor den Kopf gestossen. Und der Marti-Konzern kann sich auch sehr hartnäckig zeigen, wenn er mal leer ausgeht – wie etwa beim Gotthard-Basistunnel, wo er den Bau mit Einsprachen um Monate verzögert hat. Zum nationalen Politikum geworden ist nun auch die Sanierung des Lötschberg-Scheiteltunnels – und das nicht nur wegen der Blausee-Affäre, sondern auch wegen der hohen Zusatzkosten. Vier Offerten von 89 bis 175 Millionen Franken lagen vor, wobei Marti mit Abstand die günstigste eingereicht hatte. Ein realistischer Preis wäre bei 120 bis 130 Millionen gelegen, sagt ein Insider. «Bei einem so unterpreisigen Angebot führt der unternehmerische Druck dazu, auf falsch eingeschätzten Kosten nicht sitzen bleiben zu wollen und dies mit Nachschlägen zu retten.»
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Marti habe wohl die Vertragslücken früh erkannt, so der Tenor, und auf sein berüchtigtes Nachtragsmanagement gesetzt. So professionell und aggressiv mache das kein anderer in der Branche. Schorro winkt ab: «Im Tunnelbau ist es normal, dass es Überraschungen gibt und dadurch die Kosten steigen.» Und zum konkreten Fall ergänzt er: «Mehr Material bedeutet mehr Arbeit. Und wir wollen einfach für unsere Arbeit bezahlt werden.» Zudem hätte Marti die BLS schon vor der Unterzeichnung des Werkvertrags darauf aufmerksam gemacht, dass die Mengenangaben nicht ausreichend seien.
Marti, der skrupellose Bauriese, der die BLS ausquetscht? Diese Sichtweise ist zu simpel. Ein neutraler Experte sagt, die BLS habe eine schwache Ausschreibung gemacht, mit vielen Unklarheiten. Wobei die BLS kein Einzelfall ist. Die Ausschreibungen der öffentlichen Hand würden immer schlechter, sagt ein Bauunternehmer. Natürlich könne es beim Bau Unvorhersehbares geben, doch vieles liesse sich mit besseren Ausschreibungen und besserer Planung vermeiden. Jedenfalls setzen viele in der Branche nun grosse Hoffnungen ins neue Beschaffungsgesetz, das 2021 in Kraft tritt. Dann müssten die Bauherren nicht mehr die günstigste Offerte wählen, sondern könnten auch qualitative Kriterien berücksichtigen, sowohl bei der Planung, was bessere Ausschreibungen zur Folge haben dürfte, als auch beim Bau selbst.
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Die Steuerzahler kostet die Sanierung des Lötschberg-Scheiteltunnels mittlerweile nicht mehr 89 Millionen, sondern 137 Millionen respektive 157 Millionen Franken – sofern der ganze Tunnel saniert werden soll. Weil die BLS bei der Ausschreibung die Tonnagen unterschätzt hat und weil in der «Beilage 1» des Vertrags zwischen der BLS und Marti explizit festgehalten ist, dass bei «Bestellungsänderungen» durch den Bauherrn diese auch von ihm zu berappen sind. Daran gibts nichts zu rütteln, das hat auch das Schiedsgericht befunden, das in diesem Fall angerufen wurde. Die Marti-Juristen sind offensichtlich cleverer als ihre Gegenspieler bei der BLS. Ein Umstand, den auch Peter Füglistaler, der Chef des Bundesamts für Verkehr (BAV), akzeptieren muss: Wenn die Spezialisten «weitgehend für die Baufirma entscheiden, dann ist das Urteil eigentlich klar».
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Hauptsitz in der Provinz: Die Baugruppe, die mit rund 7000 Mitarbeitende geschätzte 1,7 Milliarden Franken umsetzt, wird von Moosseedorf bei Bern aus geführt.
ZVGHauptsitz in der Provinz: Die Baugruppe, die mit rund 7000 Mitarbeitende geschätzte 1,7 Milliarden Franken umsetzt, wird von Moosseedorf bei Bern aus geführt.
ZVGBekannt ist, dass Marti gerne seine Muskeln spielen lässt. Eine typische Herangehensweise läuft häufig so ab: Um einen ausgeschriebenen Auftrag zu bekommen, offeriert Marti exakt so, wie es verlangt wird. Sobald Marti den Zuschlag jedoch hat, setzt das Unternehmen alles daran, den Bau technisch nach den eigenen Vorstellungen umzusetzen. Bei einem Tunnelprojekt etwa wurde ausgeschrieben, dass der Tunnel gesprengt werden müsse. Marti hat dann durchgesetzt, dass das Loch mit einer Teilschnittmaschine ausgehöhlt wurde.
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Es sind solche Manöver, die Marti den harten Ruf eintrugen. Das Problem liegt allerdings nicht unbedingt bei der Baufirma, wie ein Experte erklärt: Marti würde nicht so vorgehen, wenn die Bauunternehmen schon bei der Eingabe eine eigene Variante angeben könnten. Die Bauherren hätten sich in den letzten Jahren in ein starres Raster hineingezwängt, die Vorgaben seien immer enger gesetzt worden und liessen kaum noch Innovationen zu. Und weil Marti sehr innovativ sei, könne das Unternehmen oft seine Bauweise gar nicht offerieren.
Konflikte zwischen Bauherren und Bauunternehmen haben Tradition. In gewissen Ländern, etwa Norwegen, ist es längst normal, letztlich vor Gericht zu landen. Eine Entwicklung, die sich auch in der Schweiz immer mehr abzeichnet. Ebenfalls Tradition hatten in der Branche über viele Jahre die Absprachen. Bis in die 1990er Jahre galt die Schweiz als eines der kartellisiertesten Länder überhaupt. Als dann neue Gesetze die Preisabsprachen unterbinden sollten, dauerte es in der Baubranche lange, bis diese Botschaft in der letzten Ecke angekommen war. Viele der grossen Bauunternehmen galten bei der Weko als «Dauerkunden».
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Und auch Marti geriet immer wieder in Negativschlagzeilen. Noch immer ist das Unternehmen in zwei laufende Weko-Verfahren im Raum Bern involviert. In einem wird gegen rund zehn Firmen ermittelt, die sich beim Kies abgesprochen haben sollen; beim anderen geht es um eine Untersuchung gegen zwei Belagswerke und deren Aktionäre, die unter anderem ihr Marktverhalten womöglich koordiniert haben. Beide Verfahren sollen 2021 abgeschlossen werden. Schorro und Blatter reagieren auf entsprechende Vorwürfe dezidiert: «Wir haben nichts übrig für Kartelle. Das gehört nicht zu unserer Kultur. Und das will auch der neue Chef, Reto Marti, nicht.» Sie sind überzeugt, unbescholten davonzukommen.
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Dass im Bau um jeden Millimeter gefeilscht, gestritten und teils getrickst wird, ist nicht ungewöhnlich. Die Branche, die rund 81'000 Vollzeitstellen zählt, erwirtschaftet zwar rund 21 Milliarden Franken pro Jahr, doch die Margen sind mit zwei bis drei Prozent kellertief, gerade angesichts der oft riesigen Bauvolumen, der stets mitschwingenden Risiken sowie des grossen Material- und Personalaufwands. Bei Marti, heisst es in der Branche, bleibe unter dem Strich zwar mehr übrig als etwa bei Implenia. Eine goldene Nase verdienten sich aber auch die Berner nicht.
Kein anderes Bauunternehmen vereinigt in der Schweiz mehr Kompetenzen unter einem Dach, keines ist breiter aufgestellt. Dennoch will Reto Marti die Wertschöpfungskette noch weiter ausdehnen. Künftig will er auch für die komplexesten Aufträge sämtliche Arbeitsschritte aus der eigenen Hand anbieten. Grosse Hoffnung setzt er auch auf das noch junge Tochterunternehmen Marti Infra, das ökologische Gewissen des Unternehmens, das in der Sanierung von Altlasten und Sondermülldeponien tätig ist und Recyclinganlagen baut und betreibt. Zum Zug kam Infra etwa bei der Befreiung des Zürichsees von Teerablagerungen oder der Sanierung der Sondermülldeponie in Bonfol JU.
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Marti baut das neue ZSC-Stadion in Zürich.
ZVGDie Roche-Hochhäuser in Basel.
ZVGDas Konzerthaus und Kongresszentrum Harpa in der isländischen Hauptstadt Reykjavik.
ZVGDer neue Uefa-Sitz in Nyon.
ZVGNebst dem heimischen Hoch-, Tief- und Tunnelbau hat Marti zuletzt das Auslandsgeschäft verstärkt, baut in Reykjavik ein Konzerthaus, in Norwegen und Deutschland Tunnels oder in China eine Förderbandanlage. «Wir sind im Ausland tätig, nicht weil wir müssen, sondern weil wir Freude daran haben», sagt Schorro. Auslandserfahrungen würden den Horizont erweitern und Innovation fördern. «Jedes Land ist anders, überall kann man etwas lernen» – Marti als Firma und die Mitarbeiter für ihre Laufbahn. «Auslandserfahrungen sind eine Bereicherung für alle.»
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Im Ausland kann aber auch etwas schiefgehen, wie die Vorfälle rund um den Basistunnel am österreichischen Semmering zeigen, wo die Marti-Gruppe ein Sieben-Kilometer-Baulos für 326 Millionen Euro gezogen hat. Mehrere Mitarbeiter wurden von der örtlichen Polizei einvernommen. Die besagten Personen, die von Marti für dieses Projekt vor Ort rekrutiert worden sind, werden des Betrugs verdächtigt, darunter ist auch der Baustellenkaufmann. Konkret sollen etwa Treibstoff, Baustahl oder Beton im Wert von 1,9 Millionen Euro abgezweigt worden sein. Schorro und Blatter wollen hier nichts schönreden, Marti sei ebenfalls geschädigt worden. «Wir haben eigene Leute vor Ort geschickt, um die Sache aufzuklären.» In diesen Tagen dürfte die Staatsanwaltschaft Anklage erheben.
Länger hinziehen dürften sich die Untersuchungen der bernischen Staatsanwaltschaft rund um die Blausee-Affäre, dies ganz zum Missfallen aller involvierten Firmen und Ämter. Marti habe ein reines Gewissen, halten Schorro und Blatter fest. Das Entsorgungskonzept für den Gleisaushub sei von allen zuständigen Stellen genehmigt worden, von der BLS, von der Umweltbaubegleitung, vom zuständigen kantonalen Amt, vom BAV. «Marti hat keine Umweltgesetze missachtet und unterstützt die staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen vollumfänglich.»
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Doch die Blausee-Episode hat nebst juristischen auch politische Folgen. So hat die Geschäftsprüfungskommission des Kantons Bern ihre Arbeit aufgenommen und für die Aufarbeitung der Affäre eine neue Stelle auf ihrem Sekretariat geschaffen. Und nun hat sich gar der Bundesrat eingeschaltet. Er hält in seiner Antwort auf die Interpellation des grünliberalen Nationalrats Jürg Grossen fest, dass die «Zwischenablagerung, Bearbeitung und Ablagerung von verschmutztem Material im Steinbruch Mitholz nicht zulässig» sei. Er rüffelt zudem die kantonale Fachstelle, die das «nicht beachtet» habe, und macht klar, dass «die Verantwortung für die Einhaltung der Umweltvorschriften in erster Linie bei der Bauherrschaft und bei der von dieser beauftragten Bauunternehmung» liege. Also bei der BLS und Marti. Mit dem ersehnten Rückzug aus dem Scheinwerferlicht wird es vorerst wohl nichts.
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