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«Für verdammt viele wird das Leben nie mehr dasselbe sein»

Schriftsteller Jonas Lüscher kritisiert die Schweizer Pandemie-Politik, fordert höhere Steuern und findet Hoffnung in der ­künstlichen Intelligenz.

Florence Vuichard

Bastian Heiniger

&

Florence Vuichard

Jonas_Luescher

Mit seinem Roman «Kraft», der im Silicon Valley spielt, gewann Jonas Lüscher den Schweizer Buchpreis.

Florian Generotzky für BILANZ

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Er sitzt im Wohnzimmer, hinter ihm das Bücherregal seiner Frau, der Schauspielerin und Regisseurin Ulrike Arnold. Auch nach knapp 20  Jahren Zusammenleben herrscht bei den Büchern Gütertrennung. Sie ist für zwei Monate nicht da, inszeniert in Braunschweig ein Theaterstück. Lüscher ist allein zurückgeblieben in der Wohnung in München, wo Corona-bedingt neu ab 21  Uhr eine Ausgangssperre gilt. «Mir fällt schon ein bisschen die Decke auf den Kopf», sagt er. «Ich würde gerne ins Theater, ins Kino oder wieder einmal in eine Bar.» Der Austausch findet nur noch per Zoom und Co. statt – egal ob dieses Interview oder Vorlesungen an der New York University und am Goethe-Institut in Buenos Aires.

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Herr Lüscher, werden denn Ihre Online-Vorlesungen gut besucht?
Nicht wirklich. Letzte Woche in New York waren es zu Beginn etwa 30 Personen und am Schluss vielleicht noch 24. Vor zwei Wochen bei einer Lesung für alle Goethe-Institute in ganz Lateinamerika zuerst über 100, am Schluss noch 70.

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Vielleicht waren die Lesungen langweilig.
Ziemlich sicher sogar. Ich habe auch Besseres zu tun, als vor dem Laptop zu sitzen und jemandem dabei zuzusehen, wie er in seine Webcam liest. Ich habe also viel Verständnis für jeden, der keine Lust auf die ganzen Livestreams hat.

Es scheint, als ob die Menschen sich nur noch für Corona-Zahlen ihres Kantons interessierten und allenfalls für die Öffnungszeiten ihres Skilifts. Was bedeutet dieser Rückzug ins Private?
Leider scheint der Kreis der Solidarität in einer solchen Krise zu schrumpfen, sobald man sich um den eigenen Wohlstand sorgen muss. Wir werden erst nach der Pandemie klar erkennen können, was sie mit uns als Gesellschaft gemacht hat. Ich vermute, dass die Antwort auf diese Frage sehr unangenehm sein wird. Vor allem in der Schweiz.

Wieso?
Weil wir uns fragen werden müssen, was das über uns als Nation aussagt, dass in der Schweiz so viele Menschen mehr gestorben sind als in vergleichbaren Ländern. In Deutschland sind bislang nicht mal halb so viele gestorben. Wir sprechen im Moment also von 2500 Schweizern, die noch am Leben sein könnten.

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Hätte der Bund härter durchgreifen sollen?
Härtere Massnahmen zur Kontaktbeschränkung verringern die Todeszahlen. Also ja. Zumal: Wenn sich das ein Land leisten kann, dann doch die Schweiz.

Der Schriftsteller

Jonas Lüscher (44) wächst in einem Akademikerhaushalt in Boston und Bern auf, wird Primarlehrer und zieht dann nach München, um beim Film als Drehbuchautor zu arbeiten. Er studiert dort Philosophie, will an der ETH Zürich doktorieren, verbringt neun Monate an der Universität Stanford. Seine Dissertation bringt er nicht zu Ende, wechselt stattdessen in die Literatur und wird mit nur zwei Prosawerken– «Frühling der Barbaren» (2013) und «Kraft» (2017) – zu einem der bedeutendsten Schweizer Schriftsteller der Gegenwart. Lüscher, heute Doppelbürger, lebt mit seiner Frau, der Schauspielerin und Regisseurin Ulrike Arnold, in München.

Vielleicht hat es damit zu tun, dass die Schweiz es gewohnt ist, alles immer anders und richtig zu machen.
Vielleicht. Vielleicht liegt es aber auch an einem virulenten Antiintellektualismus und einer Wissenschaftsskepsis, die von der SVP seit Jahren befeuert wird. 60  Schweizer Ökonomen legen dar, dass es eigentlich keinen Zielkonflikt zwischen Gesundheit und Wirtschaft gibt, und dafür werden sie von unserem Finanzminister pauschal als akademische Elfenbeinturmbewohner mit Festanstellung desavouiert. Und einige SVP-Parlamentarier würden am liebsten die Science-Taskforce abschaffen. Ein Land, das nur noch dem Wissen der Unternehmer und der Bauernschläue traut – offenbar keine gute Ausgangslage für eine Pandemie.

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Der Schriftsteller Michel Houellebecq hat kürzlich in einem Essay geschrieben, wir würden nach dieser Ausgangssperre nicht in einer neuen Welt aufwachen. Es wird dieselbe sein, nur etwas schlimmer. Hat er recht?
Ich befürchte, dass ich in diesem Fall Houellebecq recht geben muss. Wie viele Intellektuelle hatte ich zu Beginn der Pandemie die Hoffnung, eine solche Krise vergrössere auch den Raum des Denkbaren, man könne noch mal die grossen Fragen stellen. Plötzlich sprach man wieder ernsthaft über Kapitalismus. Aber als ich dann selbst an Corona erkrankte und im Mai aus dem Koma aufgewacht bin, da hatte ich das Gefühl, dass diese Diskussion schon wieder vorbei war. Es ging nun nur noch darum, wie man möglichst schnell zum Status quo zurückkommt. Aber für verdammt viele wird das Leben nie mehr dasselbe sein. Millionen müssen mit dem Verlust geliebter Menschen weiterleben. Millionen werden für lange Zeit an den Spätfolgen ihrer Krankheit leiden.

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Sie sagten, es habe kurz eine Chance gegeben, über eine andere Form des Kapitalismus nachzudenken. Wie sieht eine bessere Variante aus?
Gerechter und solidarischer. Vielleicht müssten wir uns nur bestimmte Tatsachen wieder in Erinnerung rufen, deren wir uns vor gar nicht so langer Zeit sehr bewusst waren.

Die wären?
In den 1960er Jahren wusste selbst eine deutsche FDP, dass der Kapitalismus zu ökonomischer Ungleichheit führt und dass es deswegen scharfe Regulierungen, einen starken Sozialstaat und Umverteilung braucht. Dieses Wissen wurde Ende der 1970er verdrängt von den Ideen eines radikalen Marktliberalismus: einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik, Deregulierung, Privatisierung, tiefen Steuern, Trickle-down ...

... dank deren es viele Menschen weltweit aus der Armut geschafft haben.
Dank dieser Ideen oder nicht doch eher trotz dieser Ideen? Wir müssen uns doch schon fragen, ob das Leben von Millionen von chinesischen Wanderarbeitern, die statt im Reisfeld jetzt am Fliessband stehen, tatsächlich so viel besser geworden ist. Natürlich ist die Zahl der absolut Armen gesunken, die mit weniger als 1.90 Dollar am Tag auskommen müssen. Aber sind wir wirklich der Meinung, jetzt, wo sie vielleicht 2.50 zur Verfügung haben, sei ihr Leben gut genug?

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Wie würden Sie denn eine sozialere Form des Kapitalismus konkret umsetzen?
Höhere Steuern – so simpel und langweilig. Bis in die 1970er Jahre waren Spitzensteuersätze bis 90  Prozent nicht ungewöhnlich – selbst in den USA.

Jonas_Luescher_2

Skeptiker: «Das Börsengeschehen und die Realwirtschaft driften auseinander.»

Florian Generotzky für BILANZ
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Skeptiker: «Das Börsengeschehen und die Realwirtschaft driften auseinander.»

Florian Generotzky für BILANZ

Da bräuchte es aber eine Elite, die vernünftig entscheidet, was mit den Steuergeldern passiert. Und das lief ja nicht immer erfolgreich.
Ist das nicht ein neoliberaler Mythos: der Staat, der nicht ordentlich geschäften kann? Und entscheiden nicht wir alle, indem wir für eine bestimmte Partei stimmen, wofür die Steuergelder ausgegeben werden? Mir ist es jedenfalls lieber, die Vermögenden und die Firmen werden ordentlich besteuert und die Allgemeinheit bestimmt, was mit dem Geld passiert, als dass wir auf die Wohltätigkeit der Habenden angewiesen sind. Wozu das führt, lässt sich in den USA sehen: schicke Museen, tolle Privatschulen, dafür eine verrottete Infrastruktur und katastrophale Verhältnisse im öffentlichen Bildungswesen. Aber wir haben ja in der Schweiz einen Finanzminister, dem das Erheben von Steuern offensichtlich Bauchschmerzen bereitet.

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Ueli Maurer ist also nicht Ihr liebster Bundesrat?
Nein, das könnte ich nicht behaupten. Alleine der lapidare Ton, in dem er in einem Radiointerview davon gesprochen hat, dass er halt eine Güterabwägung zwischen Gesundheit und Wirtschaft mache. Das ist zwar richtig, eine solche machen wir immer. Aber angesichts des gegenwärtigen Sterbens ist das eben eine Tragödie.

Sie haben am eigenen Leib erfahren, was eine schwere Corona-Erkrankung bedeutet. Gehen Ihnen solche Aussagen deshalb näher?
Ich hoffe nicht. 5600 Tote sollten einen erschrecken, auch wenn man nicht selbst krank war.

Sie wurden auch angefeindet, weil Sie sich über Ihre Erkrankung äusserten.
Die Stimmung ist aufgeheizt und sehr polarisiert – da verlieren einige den letzten Rest Anstand. Von «der will nur ein neues Buch verkaufen» und «selber schuld» oder «das war sicher nicht Corona» bis «hätte er halt mal nicht der Schulmedizin vertraut, dann wäre es auch nicht so schlimm geworden» war da fast alles dabei. Es ist erstaunlich, dass es Menschen gibt, die die Erfahrung des anderen, und sei sie noch so existenziell, völlig negieren können – das ist schon eine besondere Art der Verrohung.

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Jetzt ist aber eine Impfung in Aussicht, und die Börse sieht auch schon positiv in die Zukunft. Kommt nun doch alles gut? Trotz Ihrem Zweifel?
Mir machen die hohen Börsenkurse eher Sorgen. Es ist doch äusserst seltsam, dass es vielen Wirtschaftszweigen, wie Gastronomie, Tourismus, der Flug- oder Eventbranche und einem Grossteil des Aussenhandels, schlecht geht, aber die Börse neue Höhenflüge feiert. Das zeigt, dass das Börsengeschehen und die Realwirtschaft auseinanderdriften.

«Die Industrie im Silicon Valley ist nicht in der Lage, mit ihrem Geist etwas Sinnvolles hinauszutragen.»


Die Börse wird vor allem von den Tech-Giganten angetrieben. Und die profitieren gerade in dieser Krise.
Das stimmt schon. Aber Apple hat einen Börsenwert von über zwei Billionen Dollar und nur 140'000 Angestellte, bei Alphabet sieht es ähnlich aus. Jobs schafft dieser Boom also kaum. Oder im Falle von Amazon vor allem ausgesprochen prekäre – Lagerarbeiter, Paketboten. Profitieren tun die Aktienbesitzer – aber wer besitzt denn schon Aktien.

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Jeder, der einen Internetzugang hat, kann heutzutage Aktien kaufen. Die Gebühren bei Onlinebrokern sind inzwischen so niedrig, dass es sich auch bei kleinen Beträgen lohnt.
Aber mit welchem Geld? In den USA kann jeder Dritte in der Corona-Krise seine Rechnungen nicht bezahlen. In meinem Umfeld leben, vor allem wegen der hohen Mieten in München, selbst die mit Festanstellungen bei renommierten Zeitungen und Verlagen so ziemlich ohne wesentlich sparen zu können.

Schwarz oder weiss, Herr Lüscher?

★ Friedrich Dürrenmatt oder Max Frisch? Sind mir beide wichtig. Gerade lese ich aber Dürrenmatt, der hat bald den hundertsten Geburtstag.
★ Beatles oder Rolling Stones? Beatles, die bedeuten mir mehr.
★ Apple oder Huawei? Ich habe ein chinesisches Handy und einen Apple-Computer.
★ Kant oder Schopenhauer? Kant. An dem kann ich mich mehr reiben.
★ «NZZ» oder «Süddeutsche Zeitung»? Eindeutig «Süddeutsche»! Die Leitartikel der «NZZ» sind zurzeit schon grenzwertig.
★ Netflix oder Kino? Kino. Ich freue mich, wenn die Kinos wieder öffnen.
★ Bayern München oder YB? Man muss nicht zu allem eine Meinung haben.
★ Buch oder E-Book? Buch. Ich hatte mal einen Kindle, habe ihn aber verschenkt.
★ Cédric Wermuth oder Mattea Meyer? Ich finde sie als Duo toll.
★ Flug oder Zug? Zug.
★ Elon Musk oder Jeff Bezos? Pest oder Cholera. Ich finde beide grauenhaft.

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Im Roman «Kraft» haben Sie das Denken des Silicon Valley beschrieben. Können wir etwas von diesem Geist lernen?
Vor ein paar Jahren hätte ich noch gesagt, bestimmte Dinge, ja. Wenn ich heute den Zustand der USA anschaue, habe ich grosse Zweifel. Offenbar ist die Industrie im Silicon Valley nicht in der Lage, mit ihrem Geist etwas Sinnvolles hinauszutragen, das die Lage verbessert. Weil sie sich letztlich eben nicht für die Gesellschaft interessiert, sondern für Konsumenten.

Bei diesem Pessimismus gegenüber den USA, gehört denn die Zukunft China?
Ich hoffe wirklich nicht, dass diese Gesellschaftsform unsere Welt im nächsten Jahrzehnt oder gar Jahrhundert prägen wird. Die Kombination von kommunistischem Einparteienstaat gepaart mit einem illiberalen, stark nationalistischen Turbokapitalismus ist wohl der grösste Albtraum überhaupt. Etwas Schlimmeres kann ich mir kaum vorstellen.

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Für die Bevölkerung in China geht die Rechnung aber auf: Millionen von Menschen wurden aus der Armut befreit, der Wohlstand ist gestiegen.
Es ist doch zynisch zu sagen, die Mittelschicht in China ist gewachsen, da müssen wir halt die ganzen Menschenrechtsverletzungen, die Unfreiheit, die Unterdrückung, die Millionen Uiguren in Lagern sozusagen als Kollateralschäden auf dem Weg zum Wohlstand akzeptieren. Es ist doch auch für China ein anderer Weg denkbar.

Dann müssen Sie doch auf den Westen bauen? Auf Europa.
Wir müssen auf die Kräfte setzen, die sich für politische Freiheit und eine liberale Gesellschaft einsetzen, und diese finden sich nicht nur in Europa. Und darüber hinaus ist natürlich ein Europa, das einen starken, selbstbewussten Gegenpol bildet, wünschenswert. Sieht nur leider im Moment nicht so sehr danach aus.

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«Wer sich für den EU-Beitritt aussprach, wurde angeschaut, als habe er sich zu den Taliban bekannt.»


2018 sagten Sie, es falle Ihnen schwer, sich zu einer politischen Partei zu bekennen. Ein halbes Jahr später sind Sie der SP und dann auch noch der SPD beigetreten. Woher dieser Sinneswandel?
Es war eine falsche Haltung. Man sollte sich die Partei suchen, die einem am besten passt, beitreten und dann versuchen, das zu ändern, was einem nicht passt. Das ist ein aktives politisches Leben. Ich leide manchmal an der SP und noch mehr an der SPD ...

... woran genau?
So viel Zeit haben wir gar nicht, dass ich das alles aufzählen könnte!

An der Europapolitik?
Der EU-Beitritt wäre eigentlich Parteiraison bei der SP. Aber es spricht kaum jemand mehr darüber.

Weil er nicht mehrheitsfähig ist.
Das ist doch kein Argument für Politik. Wenn man etwas für wichtig und richtig erachtet, dann muss man darüber reden. Ende der 1990er Jahre, bevor ich nach Deutschland ausgewandert bin, war es in der Schweiz noch völlig o.k., sich für einen EU-Beitritt auszusprechen. Es war schon damals eine Minderheitenmeinung, aber es gab viele Menschen, die sie vertraten. Dann kam eine Zeit, in der man, wenn man sich für einen EU-Beitritt ausgesprochen hat, angeschaut wurde, als habe man sich gerade zu den Taliban bekannt. Das ändert sich aber gerade.

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Wahl-Münchner: Jonas Lüscher beim Spaziergang auf der Praterinsel an der Isar.

Florian Generotzky für BILANZ
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Wahl-Münchner: Jonas Lüscher beim Spaziergang auf der Praterinsel an der Isar.

Florian Generotzky für BILANZ

Sie sind Gründungsmitglied der EU-Sektion in der SP. Sind Sie da sehr aktiv?
Es war Gret Hallers Idee, sie hat mich angefragt, und ich fand das eine gute Idee. Aber sehr aktiv bin ich nicht. Ich gehe eher zu SPD-Bezirksversammlungen, wo es dann um ganz alltägliche Sachen geht: um Bäume, Fussgängerstreifen und Velowege.

Ist das nicht sehr bünzlig und kleingeistig angesichts der grossen politischen Probleme?
Nein. Natürlich wäre es schlecht, wenn wir uns nur noch um den Vorgarten kümmern würden. Aber Umweltpolitik wird eben auch auf den Quartierstrassen entschieden. Und die Umweltpolitik ist das zentrale Thema unserer Zeit. Als Schriftsteller und Essayist habe ich manchmal das Privileg, in der «grossen Politik» mitzumischen, mich öffentlich zu äussern, vor Parlamentariern und Abgeordneten oder auch mal mit dem Bundespräsidenten Steinmeier über Digitalisierung zu sprechen; da finde ich es nur heilsam, dass ich auch gelegentlich sehe, wo und wie in der Politik die kleinen, aber eben für den Alltag der Leute wichtigen Fragen diskutiert werden.

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Können Sie eigentlich vom Schriftstellerdasein leben in diesen Corona-Zeiten?
Ich habe dieses Jahr fast nichts verdient. Es ist in meinem persönlichen Fall nicht so schlimm, weil ich dieses Jahr ohnehin mehr zu Hause bleiben und schreiben wollte. Ich war in den letzten zwei Jahren fast permanent unterwegs und habe für einen Schriftsteller gut verdient, was mir erlaubt hat, Geld fürs Schreiben auf die Seite zu legen. Nun habe ich aber auch wenig geschrieben dieses Jahr – wegen der drei Monate Krankenhaus, wegen der Reha. Aber auch weil ich mich jetzt noch schwertue mit der Konzentration.

Als Folge von Corona?
Nicht nur. Es geht vielen Autoren gleich. Wir hängen an den Nachrichten, machen uns Sorgen um die Gesellschaft. Nicht über Corona schreiben kommt uns bedeutungslos vor, über Corona zu schreiben, ist eine grauenhafte Idee. Dafür sind wir viel zu nah dran.

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Aber Sie schreiben?
Ich versuche es. An einem Roman, den ich schon letztes Jahr begonnen habe. Als ich ihn vor ein paar Wochen wieder hervorgeholt habe, fühlte es sich an, als habe ihn ein anderer geschrieben. Und in gewisser Weise stimmt das ja auch.

Um was geht es denn?
Um künstliche Intelligenz im weitesten Sinn. Es gibt viele Dystopien zum Thema. Ich versuche mir aber vorzustellen, wie unter den Bedingungen der künstlichen Intelligenz ein gutes gesellschaftliches Leben aussehen könnte.

Das klingt doch fast optimistisch.
Ich versuche einen Rest-Optimismus zu bewahren. Hätte ich den nicht, würde ich wohl keine Bücher mehr schreiben können. Und es gibt doch auch Entwicklungen, die Mut machen. Falls der Impfstoff wirkt, falls wir es hinbringen, diesen auch gut zu verteilen, wenn in einem Jahr oder zwei 60 bis 70 Prozent der Menschen weltweit geimpft sind, dann könnte man zurückschauen und sagen: Verdammt, nur schlecht haben wir das nicht gemacht. In weniger als einem Jahr einen Impfstoff zu finden, ist eine Meisterleistung. Und das war nur möglich, weil Wissenschaft, Politik, Industrie und Gesellschaft zusammengearbeitet haben. Während der Pest blieb uns nur das Beten. Da ist ein Impfstoff doch ein gewaltiger Fortschritt.

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