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Das einst totgesagte Luxuslabel ist erfolgreicher denn je – dank einer Koreanerin in der Schweiz mit Faible für deutsche Designer.
Corinna Clara Röttker
No Understatement: Bei MCM dreht sich alles um das Logo, das legendäre Monogramm.
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Weisse Wände, schlichte Einrichtung. Kein Logo, keine Taschen, kein sonstiger Schnickschnack. Einen Hinweis, dass es sich hier um das kreative Designzentrum von MCM inmitten von Berlin handelt, sucht man auf dem zugegeben spärlichen Bildschirmausschnitt beim Videocall vergebens. Vielmehr entsteht der Eindruck: In den Räumlichkeiten der Modemarke, bei der sich sonst alles um das fette Logo – das legendäre Monogramm mit dem Lorbeerzweig – und die mit viel Gold verzierten, cognacfarbenen Taschen dreht, dominiert der Minimalismus in Reinkultur.
So auch beim komplett in Schwarz gehüllten Gesprächspartner, Chefdesigner Dirk Schönberger. «Ich bin, was meinen eigenen Geschmack angeht, sehr minimalistisch veranlagt. Umso spannender ist es, mit einer Marke wie MCM zu arbeiten, die so laut, verspielt und manchmal auch sehr provokant ist.»
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Seit zwei Jahren ist der gebürtige Kölner Global Creative Officer bei der Marke, die 1976 in München gegründet und 2005 von Sung-joo Kim gekauft wurde – der in der Schweiz lebenden, verstossenen und enterbten Tochter eines koreanischen Industriemilliardärs. Damals schien MCM mausetot, was Zukunftsaussichten, Finanzen und Image anging.
«Die Marke gab es praktisch nicht mehr», sagt denn auch Schönberger. Denn auf den Höhenflug in den achtziger und frühen neunziger Jahren folgte kurze Zeit später der brutale Absturz. Heraufbeschworen durch Gründer Michael Cromer höchstpersönlich, einen Gelegenheitsschauspieler, der sein Geld mitunter mit Erotikfilmen verdiente.
Weiss, wie man Trends entfacht: Dirk Schönberger ist seit Herbst 2018 Global Creative Officer bei MCM. Zuvor war der Deutsche Kreativchef bei Adidas.
cailin hill arakiWeiss, wie man Trends entfacht: Dirk Schönberger ist seit Herbst 2018 Global Creative Officer bei MCM. Zuvor war der Deutsche Kreativchef bei Adidas.
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Dieser hatte einst zusammen mit seiner Frau ein kleines Imperium erschaffen; ihre cognacfarbenen Taschen und Koffer entpuppten sich bei Menschen mit viel Geld als heiss begehrte Ware. Die Marke avancierte zur ernsthaften Konkurrenz für Giganten wie Louis Vuitton und Prada, Hollywood-Grössen rissen sich um die Produkte. Lady Di besass MCM. Michael Douglas. Romy Schneider. Zu Spitzenzeiten setzte MCM in 250 Filialen weltweit fast 500 Millionen D-Mark um.
Ab Mitte der Neunziger ging es dann steil bergab: Kopien überfluteten den Markt, und Cromer stand im Verdacht zu schummeln. Der Vorwurf: Steuerhinterziehung. Vom Glanz und Glamour war bald nichts mehr übrig. Einstige Fans verspotteten MCM als «Muschi-Club München», Markenspezialisten erklärten das Label für tot. Es landete schliesslich bei einer Investmentgesellschaft in der Schweiz.
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Es war die Stunde von Sung-joo Kim. Die Südkoreanerin, die zu dem Zeitpunkt MCM-Taschen bereits in Lizenz in Korea herstellte, kaufte das Label und ging radikal vor: Sie restrukturierte das Unternehmen, schloss mehr als die Hälfte aller Läden vor allem in Europa, kernsanierte die Marke und baute sie sukzessive wieder auf, ausgerichtet an den Bedürfnissen einer jungen, zunächst vor allem asiatischen Kundschaft. Dafür engagierte sie den deutschen Designer Michael Michalsky. Fast drei Jahre liess sie ihn arbeiten. Dann schickte sie dem koreanischen Popstar und Schauspieler Rain einen Michalsky-Rucksack – was folgte, war der Durchbruch in Fernost. Fortan eröffnete sie in Asien Laden um Laden.
In Europa übte sie hingegen lange Zurückhaltung, mit der Eröffnung ihres ersten Geschäftes in Deutschland wartete sie bis 2011, dann fiel die Wahl auf den Berliner Kurfürstendamm.
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Die Chefin: MCM gehört der Südkoreanerin Sung-joo Kim. Ihre Funktion: Chief Visionary Officer.
SEIHON CHODie Chefin: MCM gehört der Südkoreanerin Sung-joo Kim. Ihre Funktion: Chief Visionary Officer.
SEIHON CHOHeute ist das totgesagte Unternehmen von einst erfolgreicher denn je: 1500 Mitarbeiter setzten 2019 an 640 Verkaufsstellen und in 40 Ländern mehr als 800 Millionen Euro um. Noch heute macht MCM rund 60 Prozent des Umsatzes in Asien. Zum Vergleich: Als Kim 2005 das Ruder übernahm, lag der Umsatz bei überschaubaren 60 Millionen.
««Die Leute wollen einen Wiedererkennungswert, ihnen ist es wichtig, dass ihr Umfeld sieht, ob eine Tasche von MCM kommt.»»
Dirk Schönberger, Designer MCM
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Es sei einfach die Zeit für Marken, die sehr Logo-getrieben sind, erklärt Schönberger den Erfolg. «Die Leute wollen einen Wiedererkennungswert und Individualität, ihnen ist es wichtig, dass ihr Umfeld sieht, ob eine Tasche von MCM oder einer anderen Luxusmarke kommt. MCM passt da mit ihrem jungen Image einfach super in die Zeit.»
Der Deutsche muss es wissen: Als Kreativdirektor von Adidas, wo er zuvor war, war es ihm gelungen, einen Tennisschuh aus den Siebzigern, das Modell Stan Smith, so wiederzubeleben, dass er zu einem der zentralen Produkte des Sportartikelherstellers wurde.
Auch bei MCM ist der Auftrag klar: Schönberger soll die Marke konsequent weiterentwickeln, einen modernen Luxus für jene Zielgruppe etablieren, die MCM bereits als Kunden weiss und der andere Luxusmarken noch hinterherhecheln: Millennials, vor allem aus Fernost.
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Für sie baut Schönberger das Sortiment kräftig aus. Neben Taschen und Rucksäcken, die 80 Prozent des Umsatzes ausmachen, gibt es T-Shirts, Hosen und Röcke ebenso wie Jacken, Schuhe und Accessoires – doch zur Bekleidungsmarke wandeln soll sich der Brand nicht. Vielmehr geht es um den ganzheitlichen MCM-Look und die Story dahinter, die erzählt werden soll – so wie bei fast allem, für das Schönberger bei der Marke verantwortlich zeichnet.
Denn dafür wurde er geholt: Als Global Creative Officer soll sich alles unter seiner Vision vereinen. Von der Kollektion über Ladenkonzepte – virtuell wie real – bis hin zu den Social-Media-Accounts: Schönberger gestaltet alles mit, mischt sich überall ein. Dazu zählt auch das Thema der Digitalisierung, die MCM krisenfester machen soll; während andere grosse Modehäuser vor allem auf ihr physisches Verkaufsnetz setzen, ist MCM bereits deutlich digitaler unterwegs und holt 20 Prozent des Umsatzes online herein.
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Überhaupt: Schönberger denkt stets global, nicht national. «Ich vergleiche uns immer mit einem Flugzeug, das einst in München gestartet war, überall auf der Welt Stationen hatte und von dort die Einflüsse mitgenommen hat. Wir sind eine Art globale Nomaden.»
««Frau Kim kann es bei Entwürfen mitunter gar nicht laut und bunt genug sein.»»
Dirk Schönberger, Designer MCM
Dazu passt auch die internationale Unternehmensstruktur von MCM: Produkte werden in Berlin und Seoul designt und in Italien produziert, das Digitalgeschäft aus New York gemanagt, Konzernchef Michael Kim sitzt in Hongkong, und Inhaberin Sung-joo Kim überwacht alles vom europäischen Headquarter in der Schweiz aus.
Die 63-Jährige, die sich als Chief Visionary Officer bezeichnet, weiss über jeden von Schönbergers Schritten Bescheid, die Zusammenarbeit ist eng und kollaborativ, auch wenn man nicht immer einer Meinung ist. «Frau Kim kann es bei Entwürfen mitunter gar nicht laut und bunt genug sein.» Eben typisch MCM. Und geht es nach Schönberger, ist die Zeit des Minimalismus sowieso vorbei. Auch wenn das der kleine Bildschirmausschnitt vom Berliner Designzentrum nicht vermuten lässt.
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Dirk Schönberger über seine Rolle als Kreativchef von MCM und seine visionäre Patronne Sung-joo Kim.
Herr Schönberger, was ist für Sie als Designer der Reiz von MCM?
MCM ist extrovertierter als andere Luxusmarken. Deswegen macht es auch mehr Spass. Ausserdem mag ich Marken mit Geschichten. Das gibt mir ein Spektrum, mit dem ich spielen kann. Dabei geht es nicht darum, die Marke fundamental zu verändern. Sondern darum, den Geist ins Jetzt zu übertragen. Solche Herausforderungen liebe ich. Deswegen sind meine Veränderungen auch nie radikal, sondern evolutionär.
Zum Beispiel?
Die Bedürfnisse der Kundschaft ändern sich bisweilen schnell. Zum Beispiel wird in Asien kaum noch mit Bargeld bezahlt, vieles läuft über das Handy. Wenn wir also eine junge Luxusmarke sein wollen, müssen wir Taschen für aktuelle Bedürfnisse entwerfen.
Ist MCM denn überhaupt eine klassische Luxusmarke?
Nein. MCM ist vielschichtiger und geprägt durch einen offenen Geist. Das zeigt auch ihre Vergangenheit: In Amerika entdeckte sie die Hip-Hop-Szene für sich, durch die Besitzerin Sung-joo Kim kamen später asiatische Einflüsse dazu. MCM wurde so zu einer globalen Marke, die die Summe vieler verschiedener Einflüsse ist.
Was ist Ihre Vision?
Ich will diesen globalen Gedanken weiterentwickeln und sehe mich als Dompteur, der all diese internationalen Einflüsse aufnimmt und in ein global relevantes Produkt verwandelt. Zudem positionieren wir MCM als Total-Look-Marke, bei der Prêt-à-porter und Schuhe genauso wichtig sind wie Taschen.
MCM wird also zur Bekleidungsmarke?
Nein, wir werden nur ein bisschen breiter.
Und auch leiser?
Im Vergleich zu früher ist die MCM-Kollektion schon leiser geworden. Aber MCM wird niemals eine Minimalisten-Marke.
Ihr Titel bei MCM lautet Global Creative Officer. Was genau machen Sie?
Wenn sich eine Marke weiterentwickeln will, sollte die gesamte visuelle Sprache unter einem Hut sein. Es ist wichtig, dass von der Konzeption einer Kollektion über die Gestaltung der Shops bis hin zu Social Media alles unter einer Vision vereint ist. Dafür braucht es jemanden, der alles überblickt und die Zügel bei sämtlichen Themen in der Hand behält.
Was ist der anstrengendste Part an Ihrem Job?
Das Switchen zwischen den Themen: vom Design zum Merchandising, vom Ladenkonzept zur Werbekampagne und wieder zurück. Es ist nicht so, dass ich à la Yves Saint Laurent in meinem Atelier sitze und den ganzen Tag zeichne.
Erklären Sie doch bitte, wie so eine Kollektion entsteht.
Man braucht als Erstes ein Thema. Ich lasse mich dabei von kulturellen und gesellschaftlichen Strömungen inspirieren. Das Thema der diesjährigen Winterkollektion ist zum Beispiel virtuelles Reisen zwischen den Online- und Offline-Welten.
Was kommt dann?
Ich briefe mein Team, und wir fangen an, Bilder zu diesem Thema herauszusuchen, entwickeln so die Idee weiter und kreieren daraus einen Look.
Wie sieht so eine Reisemode aus?
Der Look entsteht aus Assoziationen: Reisen hat für mich etwas mit verschiedenen Einflüssen zu tun. So entstand beispielsweise die Idee, ostasiatische Muster mit westlichen Silhouetten zu kombinieren.
Als Nächstes stellen Sie die Ideen Sung-joo Kim vor?
Sie ist eigentlich die ganze Zeit involviert. Wir reden mindestens dreimal wöchentlich, manchmal über sehr detaillierte Dinge, manchmal über das strategische Big Picture.
Hat sie ein Vetorecht?
Wenn sie will, kann sie eine Kollektion kippen. Aber so ein Prozess ist ein Dialog, deshalb passieren solch gravierende Schritte nicht am Ende der Entwicklung.
Wie stark mischt sie sich ein?
Sie definiert klar, wie sie sich die Marke vorstellt, schliesslich gehört ihr MCM. Dadurch kann sie auch sehr schnell sehr einschneidende Entscheidungen fällen, die zu treffen ich mich unter Umständen als ihr Angestellter nicht trauen würde.
Streiten Sie auch?
Es ist nicht so, dass wir uns immer einig wären. Aber wir streiten nicht. Wir führen MCM im Dialog. Überhaupt setze ich stark auf Kollaboration, sei es mit Frau Kim oder Kollegen aus anderen Abteilungen. Ich bin kein Allwissender und glaube nicht an diese ultimative, diktatorische Herrschaft eines Designers.
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