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Viertagewoche

Mitarbeitende sind glücklicher bei weniger Arbeitszeit

Der Wunsch nach einer Viertagewoche ist gross. Doch lässt sich gleiche Arbeit in weniger Zeit stemmen? Ein Feldversuch liefert mögliche Antworten.

Sascha Zastiral

Employees work in an open-plan office at the headquarters of the media company Ringier Axel Springer Switzerland, pictured at the media center Medienpark in Zurich-Altstetten, Switzerland, on June 21, 2017. (KEYSTONE/Christian Beutler)Mitarbeiter der Ringier Axel Springer Schweiz in einem Grossraumbuero am Hauptsitz des Medienunternehmens im Medienzentrum Medienpark, aufgenommen am 21. Juni 2017 in Zuerich-Altstetten. (KEYSTONE/Christian Beutler)

Angestellter in Zürich: Viele Arbeitnehmer wünschen sich eine Viertagewoche.

Keystone

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Irgendwann, erzählt Mark Roderick, war er «einfach nur noch müde». Die Corona-Pandemie hatte Spuren hinterlassen. Mit seinem Bruder Steve leitet er seit 2005 Allcap, einen Versandhandel für Baubedarf in Gloucester, rund zweieinhalb Autostunden nordwestlich von London. Das Unternehmen liefert industrielle Schutzausrüstung. Nach dem Ausbruch der Pandemie bestellte Roderick zusätzlich ganze Paletten an Schutzkleidung in Asien. Seine Werkstatt fertigte nun auch Teile für Beatmungsgeräte. «Wir hatten wirklich viel zu tun», sagt Roderick. Und so fragte er sich irgendwann: Wäre es nicht möglich, weniger Zeit bei der Arbeit zu verbringen?

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Die Corona-Pandemie hat die Arbeitswelt verändert. Und auch die Einstellung zur Arbeit. Nicht nur bei Allcap. In einer Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut YouGov im Sommer in Deutschland, Frankreich und Grossbritannien durchführte, äusserten 80 Prozent der Angestellten den Wunsch, nur vier Tage pro Woche zu arbeiten. Unter den Frauen war er noch deutlich grösser. In Deutschland beispielsweise wollen neun von zehn Frauen dieses Modell nutzen, bei den Männern sind es sieben von zehn. Allerdings klaffen Wunsch und Wirklichkeit offenbar weit auseinander. Es gibt nämlich kaum Unternehmen, die eine Viertagewoche anbieten: Nur drei Prozent der Deutschen und zwei Prozent der Briten gaben in der Umfrage an, dass ihr Unternehmen dieses Modell schon eingeführt hat. Und nur ein Zehntel der deutschen Unternehmen plant demnach, es einzuführen.

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Das dürfte auch daran liegen, dass sich für die Geschäftsführung bei einer solchen Umstellung deutlich mehr Fragen stellen als für die Belegschaft: Lässt sich der Betrieb wirklich einfach an einem Tag dichtmachen? Und wie muss die Arbeit dann organisiert werden, um Kunden nicht zu verlieren – und Mitarbeitern an den verbleibenden Tagen nicht noch mehr aufzubürden?

Eine Antwort darauf soll der bislang grösste Pilotversuch geben, der in diesem Sommer in Grossbritannien anlief – und nun zu Ende gegangen ist: Mehr als 70 Unternehmen aus ganz unterschiedlichen Branchen erklärten sich bereit, ihre Angestellten für sechs Monate nur noch an vier Tagen in der Woche arbeiten zu lassen – zum vollen Gehalt. Forscher der Universitäten Cambridge, Oxford und des Boston College in den USA begleiten das Experiment. Die Angestellten sollen trotz der verkürzten Arbeitswoche genauso produktiv sein wie zuvor – oder gar noch produktiver. Der zusätzliche freie Tag soll das physische und mentale Wohlbefinden verbessern, die Motivation in der Belegschaft steigern. Sodass auch die Arbeitgeber etwas davon haben. So weit die Theorie. Wer mit Teilnehmern des Experiments wie zum Beispiel dem Unternehmer Roderick spricht, merkt allerdings: Die Tücken lauern in der Praxis.

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Alle wollen freitags frei

Mark Roderick fand die Vorstellung, sich als Chef regelmässig einen freien Tag zu gönnen, während seine 38 Angestellten weiterhin an fünf Tagen in der Woche arbeiten, «ein wenig arschig», wie er heute sagt. Sein Bruder und er schauten sich also nach Unterstützung bei der Einführung einer Viertagewoche um – und stiessen so zu dem Forschungsprojekt, das mit Onlineworkshops, Infomaterial und Gesprächen mit anderen Unternehmen den Sprung in die neue Arbeitswelt etwas abfedert.

Wie unterschiedlich die Bedürfnisse allein in seiner eigenen Firma sind, merkte Roderick schnell: In der kleinen Werkstatt von Allcap, in der fünf Mitarbeiter massgefertigte Teile unter anderem für Elektrizitätskraftwerke anfertigen, stellten die Rodericks den Betrieb komplett auf eine Viertagewoche um. Für den weitaus grösseren Vertrieb aber ging das nicht. Dafür sei einfach zu viel zu tun gewesen, sagt Roderick. Daher erhielten die Vertriebler rotierend alle zwei Wochen einen zusätzlichen bezahlten freien Tag. Sie konnten diesen allerdings nur auf einen Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag legen. «Ansonsten würden alle den Freitag freihaben wollen», sagt Roderick. «Und das hätte zu Streit geführt.»

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Deutlich einfacher lief es bei dem kleinen Zeitschriftenverlag Target Publishing, bei dem schon seit zweieinhalb Jahren nur noch von Montag bis Donnerstag gearbeitet wird. Gründer und Geschäftsführer David Cann ist ein zufälliger New-Work-Pionier. Im März 2020, als die Pandemie Grossbritannien mit voller Wucht erwischte, war sich Cann der drohenden wirtschaftlichen Folgen umgehend bewusst. Der Verlag, dessen zweites Standbein die Ausrichtung von Veranstaltungen ist, drohte rasch in die roten Zahlen zu rutschen. Daher beschloss Cann, die Gehälter vier Monate lang um 20 Prozent zu kürzen und die Arbeitszeit um ein Fünftel zu verringern – auch beim Management, wie er betont. Alle Angestellten bekamen die Freitage frei. Die 20 Angestellten, die Cann heute beschäftigt, haben sich schon lange an die Viertagewoche gewöhnt.

Portrait von David Cann

KOMMUNIKATIV David Cann schliesst seinen Verlag freitags. Kunden hat er das erklärt – und gibt ihnen nun Tipps zur Viertagewoche.

ZVG
Portrait von David Cann

KOMMUNIKATIV David Cann schliesst seinen Verlag freitags. Kunden hat er das erklärt – und gibt ihnen nun Tipps zur Viertagewoche.

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Als sich die wirtschaftliche Lage besserte, zahlte Cann wieder die vollen Löhne. Den freien Freitag behielt er aber bei. Unter seinen Kunden habe das niemanden verärgert – oder auch nur verwundert. «Der Schlüssel liegt darin, den Kunden mitzuteilen, was man macht», betont Cann. «Dann gibt es auch keine Rückgänge bei den Aufträgen.» Auch die Organisatoren des britischen Pilotversuchs betonen die Bedeutung von Kommunikation: Kunden, aber auch Geschäftspartner, denen man im persönlichen Gespräch die Gründe für die neuen Abläufe schildert, zeigen mehr Verständnis als jene, die plötzlich auf eine dringende Anfrage nur eine Abwesenheitsnotiz erhalten. Und mitunter ergibt sich aus solch einem Gespräch sogar mehr. So wie bei David Cann: «Interessanterweise haben wir jetzt sogar einige unserer Kunden dabei beraten, die sich ebenfalls für die Viertagewoche interessieren.»

Doch so wichtig Kommunikation auch sein mag – sie löst nicht die Aufgabe, Arbeit, die sich bislang auf fünf Tage verteilte, nun in vier Tagen zu erledigen. Für Waterwise, eine Non-Profit-Organisation, die sich für eine effizientere Wassernutzung einsetzt, war diese Aufgabe besonders heikel: Ausgerechnet zu Beginn des Pilotversuchs im Juni setzte in Grossbritannien eine schwere Dürre ein. Die Zahl der Anfragen schoss in die Höhe. «Und dann fiel das auch noch in die Urlaubszeit», erinnert sich Geschäftsführerin Nicci Russell. Schon zuvor hatte die achtköpfige Belegschaft unter der Arbeitslast geächzt. «Wir waren deswegen alle ein wenig verunsichert, ob wir das Pensum in einer Viertagewoche bewältigen könnten.»

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Letztlich ist es gelungen. Weil die Organisation ihre Abläufe grundsätzlich in Frage gestellt hat. «Seitdem befasse ich mich jeden Morgen eine Stunde lang mit E-Mails, anstatt den ganzen Tag über von eingehenden E-Mails bei der Arbeit unterbrochen zu werden», sagt Russell. Die Videocalls, die oft eine Stunde dauerten, wurden auf eine halbe Stunde verkürzt. Damit das gelingt, achte man bei Waterwise inzwischen bei allen Meetings penibel darauf, dass nur Leute eingeladen würden, die man braucht.

Gewiss, in kleineren Unternehmen lässt sich vieles einfacher umstellen. In Konzernen wirkt die Trägheit der Masse. Doch den Mut, Dinge in Frage zu stellen, empfiehlt Russell auch anderen. Und zwar permanent. «Startet erst mal einen Versuch», rät sie. «Und behaltet in Erinnerung, dass es ein Versuch ist. Entwerft ihn mit dem Team. Wenn etwas nicht funktioniert, ändert es.» Wenn die Viertagewoche erst einmal laufe, sei der Gewinn «gewaltig», betont Russell. Nicht nur, weil der zusätzliche freie Tag helfe, die sprichwörtlichen Akkus wieder aufzuladen. Sondern weil auch die Arbeit an den vier Tagen reibungsloser laufe – und weniger Energie koste. Aber das passiere nicht von selbst. «Man muss wirklich daran arbeiten», betont Russell.

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Erhöhte Produktivität

Neue Abläufe haben auch andere Teilnehmer des britischen Grossexperiments erprobt. Paul Perry, der vor zwei Jahren mit einem Geschäftspartner die Kreativagentur Literal Humans in London gründete, beobachtet beispielsweise, dass seine Kollegen bessere Briefings erstellen, «um maximale Effizienz mit weniger Arbeitstagen pro Woche zu gewährleisten». Er selbst blocke sich mehr Zeit, um konzentriert arbeiten zu können. Termine mit Kunden und Geschäftspartnern lege er inzwischen stets auf die Nachmittage. Und er teste mit seinen neun Angestellten und vielen Freelancern in aller Welt sogar Alternativen zu Videocalls: «In Zukunft könnten wir uns beispielsweise öfter Videonachrichten schicken, anstatt Meetings abzuhalten», so Perry.

Vor wenigen Wochen veröffentlichten die Organisatoren des Pilotversuchs die Ergebnisse einer Umfrage unter den teilnehmenden Firmen, von denen etwa die Hälfte geantwortet hat. Demnach erklärten 46 Prozent, dass die Produktivität in ihren Unternehmen gleich geblieben sei, 34 Prozent berichteten über eine leichte, 15 Prozent gar über eine signifikante Steigerung seit Einführung der Viertagewoche. Wobei sich Führungskräfte, auch das zeigte sich in dem gross angelegten Versuch, nie ganz sicher sein können, ob dies wirklich das Ergebnis effizienterer Abläufe ist – oder ob der eine oder die andere am Abend nicht doch noch ein paar liegen gebliebene Mails beantwortet oder der Präsentation den letzten Schliff verpasst. Paul Perry spürte in seiner Belegschaft die Sorge vor einem zu hohen Arbeitspensum an den verbliebenen Arbeitstagen – und stellte seinen Angestellten einen Coach zur Seite. «Mit dem können sie sich vertraulich über Probleme bei der Arbeit oder auch zu Hause austauschen», erzählt er.

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Portrait von Nicci Russell

ZURÜCKHALTEND Damit ihr Team nicht doch noch nach Feierabend arbeitet, verschickt Nicci Russell abends keine E-Mails mehr.

ZVG
Portrait von Nicci Russell

ZURÜCKHALTEND Damit ihr Team nicht doch noch nach Feierabend arbeitet, verschickt Nicci Russell abends keine E-Mails mehr.

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Perry rät seinen Mitarbeitern zudem, sich für den arbeitsfreien Freitag ganz bewusst etwas vorzunehmen – damit die Arbeit sie nicht einhole. Und er erkundigt sich regelmässig, was sie über das Wochenende gemacht hätten. In jeder Frage, die er seinen Kollegen stellt, steckt immer auch die Anerkennung, dass die Arbeit eben nicht alles sei. «Wir haben», so erzählt Perry. «Teammitglieder, die Bücher schreiben. Andere gehen ins Museum oder verbringen die Zeit mit ihren Familien.» Nicci Russell von der Organisation Waterwise versucht, dasselbe Signal zu senden – und schickt an ihre Belegschaft keine E-Mails mehr nach 17 Uhr oder an den freien Tagen.

Darauf zu achten, dass die Viertagewoche nicht auf einmal lauter Elfstundentage hat, das sind Führungskräfte nicht nur ihrer Belegschaft schuldig. Sondern auch sich selbst, findet Verleger David Cann. «Es ist sowohl für meine eigene geistige Gesundheit als auch fürs Unternehmen wichtig, dass ich genauso frisch bin wie alle anderen.» Als einer der Pioniere dieses Experiments verfügt er über den grössten Erfahrungsschatz. Schon bald nach der Umstellung, erinnert er sich, stellte er fest, dass sich seine Angestellten stärker ins Zeug legten als zuvor. «Ich sehe glücklichere Mitarbeiter, ein höheres Wohlbefinden und weniger Krankentage.»

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Verlorenes Know-how

86 Prozent der Unternehmen, die kürzlich ein erstes Fazit zogen, wollen die Viertagewoche nach dem Ende des Pilotversuchs beibehalten. Allcap aber gehört nicht dazu. «Wir haben nicht genug Angestellte», klagt Roderick. «Und wir waren nicht in der Lage, weitere einzustellen.» Der Fachkräftemangel in Grossbritannien und die beginnende Rezession wirkten sich auch auf sein Unternehmen aus.

Es hätte, so glaubt Roderick, Weiterbildungen gebraucht, um sicherzustellen, dass auch dann wichtiges Fachwissen in der Firma verfügbar sei, wenn mal ein Experte freihat. Ein langjähriger Mitarbeiter etwa verstehe sich so gut wie kein anderer darauf, schwer zu beschaffende Materialien auf den oft verschachtelten Webseiten spezieller Zulieferer ausfindig zu machen. «Eine Aufgabe, die er in drei bis fünf Minuten erledigt hätte, hat ohne ihn zehn Minuten oder länger gedauert», sagt Roderick. «Nichts Grosses, aber viele kleine Dinge läppern sich.»

Auch sein ganz persönliches Vorhaben, weniger Zeit mit Arbeit zu verbringen, sei nicht so ganz aufgegangen, erzählt Roderick. Und trotzdem wertet er seine Teilnahme an dem Pilotversuch als Erfolg. Routinen zu reflektieren und sich mit den Erfahrungen anderer Studienteilnehmer zu befassen – das habe bereits geholfen zu erkennen, wo etwas nicht optimal läuft. «Dadurch sind wir quer durch das Unternehmen professioneller geworden.»

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