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Andrea Orcel beschert der italienischen Unicredit ein Kursfeuerwerk

Kein ausländischer Banker erhitzt die Schweizer Fantasie wie der Ex-UBS-Manager. Ein Grund: Er ist der erfolgreichste Bankchef Europas.

Dirk Schütz

Aktionärs­LieblingEx-UBS-Banker ­Andrea Orcel schreibt an der Börse die grösste Erfolgs­geschichte im euro­päischen Banking.

Aktionärs-Liebling: Ex-UBS-Banker Andrea Orcel schreibt an der Börse die grösste Erfolgsgeschichte im europäischen Banking.

Mondadori Portfolio/Archivio Mas

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Anfang Februar spekulierte ein eher kärglich beleumundeter italienischer Blog namens «Dagospia» über die Rückkehr von Andrea Orcel zur UBS, und heiss laufende Schweizer Finanzportale übernahmen die Gerüchte gierig. Der 61-Jährige sei in Zürich gesichtet worden und habe Gespräche mit der UBS-Spitze geführt, er werde erst Co-CEO mit Amtsinhaber Sergio Ermotti und später alleiniger Chef der Grossbank.

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Was davon stimmte? Nichts. Orcel war in diesem Jahr noch nie in Zürich. Und das UBS-Comeback wird nicht stattfinden, weil es ein No-Go ist – für beide Seiten.

Doch die Episode beweist vor allem: Obwohl er die UBS bereits vor sechs Jahren verlassen hat, heizt kein Banker die Fantasie hierzulande dermassen an wie der gebürtige Römer, der erfolgreich das UBS-Investmentbanking leitete und als designierter Nachfolger von Ermotti in dessen erster Amtszeit mit seinem Abgang die Nachfolgeplanung an der Spitze der Grossbank so stark durcheinanderwirbelte, dass am Ende der Externe Ralph Hamers übernehmen musste.

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Russland-Drama

Das Interesse mag an dieser Vergangenheit liegen, an seinem Nimbus als «Europas bekanntester Investmentbanker» («The New York Times») und auch an der Besessenheit, mit der der leidenschaftliche Banker seine Mitstreiter antreibt – auch heute noch sehen manche UBS-Investmentbanker Orcel als den besten CEO, den die Bank nie hatte. Doch der Hauptgrund für die Faszination ist ein anderer: Andrea Orcel ist derzeit der erfolgreichste Banker Europas – kein Lenker einer systemrelevanten europäischen Grossbank schaffte seit seinem Antritt so viel Aktionärswert wie er.

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Er vervierfachte den Kurs in seinen gut drei Jahren an der Spitze der italienischen Grossbank Unicredit und schlug damit sowohl den europäischen als auch den amerikanischen Bankenindex deutlich – genauso wie die vom CS-Schub profitierende UBS-Aktie. Auch bei der goldenen Kennzahl der Bankchefs, der sogenannten Price-to-Book Ratio, ist er der Held der europäischen Kommerzbanken: Der Marktwert von Unicredit liegt über dem Buchwert. Hier steht nur die UBS noch besser da – doch sie ist durch ihre global einzigartige Vermögensverwaltung weniger kapitalintensiv unterwegs.

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Dabei sah es vor zwei Jahren gar nicht gut aus. Unicredit zählte neben der österreichischen Raiffeisen und der französischen Société Générale zu den drei internationalen Banken mit dem grössten Russland-Exposure, und nach Putins Angriff auf die Ukraine brach der Kurs um 40  Prozent ein. Doch auch hier zeigte sich die Methode Orcel: Schwimme nicht mit der Menge. Natürlich reduzierte auch Unicredit ihr Exposure massiv, und die Bank schrieb ihre Russland-Tochter auf null ab. Aber das Geschäft einfach für einen Rubel an Putin zu verkaufen, wie es Société Générale tat, wäre für Orcel nicht nur eine Wertvernichtung gewesen, sondern auch eine Kapitulation gegenüber dem russischen Aggressor. So hält er bis heute daran fest, obwohl die Bankenaufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB) nach Druck aus den USA unlängst auf einen schnelleren Ausstieg drängte – woraufhin Unicredit eine gerichtliche Klarstellung beim EU-Gerichtshof forderte und für die Zeit des Verfahrens einen Aufschub verlangte.

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Viele Wechsel

Dass europäische Banken nach langem Dornröschenschlaf von den Anlegern wiederentdeckt wurden, haben sie vor allem der Zinswende zu verdanken – endlich wirft ihr traditionelles Geschäft wieder passable Profite ab. Doch Unicredit setzte sich mit spezieller Konsequenz an die Spitze: Orcel hat den Beweis angetreten, dass in der als sklerotisch geltenden Eurobanken-Szene durchaus massive Effizienzsteigerungen möglich sind. Schon bei der UBS hatte er verkündet, dass er einmal eine Grossbank leiten wolle. Jetzt steht er an der Spitze – und kann durchsetzen, was ihm im verzweigten UBS-Konzern ausserhalb seines Bereichs einst fehlte: gnadenloses Kostenmanagement.

Dass er dabei auch vor unpopulären Entscheiden nicht zurückschreckt, merkten seine Mitarbeiter schnell. Den mächtigen Chef des italienischen Heimmarkts etwa setzte er ein Jahr nach seinem Antritt ab – und übernahm den Job gleich selbst. Weitere Auswechslungen folgten, und auch das förderte nicht gerade die Harmonie mit den EZB-Bankenaufsehern: Unlängst meldete die Nachrichtenagentur Reuters sogar, dass die Regulatoren die häufigen Managementwechsel unter Orcel bei ihrer Risikobewertung vorgebracht hätten. Die Fluktuation sei deutlich höher als bei anderen Geldhäusern, das könne das operationelle Risiko erhöhen. Beim heimischen Rivalen Intesa Sanpaolo etwa sei das Führungsteam seit einem Jahrzehnt stabil. Doch dort sind Effizienz und Aktienkurs auch nicht so massiv gestiegen.

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Französisches Top-down

Unicredit gilt als Inbegriff der paneuropäischen Bank, in den Nullerjahren geformt von dem Ex-Mc-Kinsey-Mann Alessandro Profumo. Der 70'000-Mitarbeiter-Konzern thront mit seinem Hauptsitz-Turm über dem Mailänder Bankenviertel und verfügt über 13 starke Ländergesellschaften, darunter die HypoVereinsbank in Deutschland oder die Bank Austria in Wien. Auch UBS-Chef Ermotti sammelte hier wichtige Erfahrungen. Nachdem Unicredit 2005 die HypoVereinsbank in München übernommen hatte, ernannte Profumo seinen damaligen Stellvertreter zum Aufsichtsratschef des Zukaufs. Nach dem Abgang Profumos und einigen Wirren übernahm 2016 ein Mann den Chefposten, der sechs Jahre später zum Hauptrivalen von Colm Kelleher um den Präsidentenposten bei der UBS werden sollte, aber dann doch gegen den Wall-Street-gestählten Iren Kelleher unterlag: der Franzose Jean Pierre Mustier, in jüngeren Jahren Investmentbanking-Chef der Societé Génerale.

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ÜBER MAIlandsDÄCHERNDer Unicredit-Hauptsitz thront über dem Bankenviertel.

Über Mailands Dächern: Der Unicredit-Hauptsitz thront über dem Bankenviertel.

Bloomberg
ÜBER MAIlandsDÄCHERNDer Unicredit-Hauptsitz thront über dem Bankenviertel.

Über Mailands Dächern: Der Unicredit-Hauptsitz thront über dem Bankenviertel.

Bloomberg

Mustier war stark in der Analyse, setzte aber klassisch französisch auf einen Top-down-Stil und liess den starken Ländergesellschaften in den so verschiedenen lokalen Märkten wenig Freiraum. Er begradigte die Bilanz, indem er mehr als 50  Milliarden Euro an Problemkrediten in eine Bad Bank abschob. Doch weil er die Ländergesellschaften nicht mitnahm, fehlte es an Kampfgeist – Unicredit war ein Bankenkonglomerat ohne Mitte.

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Tiefste Kosten

Orcel, der 2018 wegen eines CEO-Angebots bei der spanischen Santander die UBS verlassen, sich dort aber vor Antritt mit der Matriarchin Ana Botín überworfen hatte, übernahm im Frühjahr 2021 eine verunsicherte Belegschaft. «Unicredit Unlocked» nannte er sein Effizienzprogramm: Verlagerung der operativen Macht an die Front, Abbau der Manager-Lehmschicht im Headquarter, scharfer Effizienz-Kosten-Fokus, Abbau von unrentablen Geschäften mit gleichzeitiger Senkung der Kreditrückstellungen, Ausbau von weniger kapitalstarken Geschäften, Verzicht auf Berater.

Santander-Präsidentin Ana Botín.

Santander-Präsidentin Ana Botín ist eine von Andrea Orcels Gegenspielern.

Getty Images
Santander-Präsidentin Ana Botín.

Santander-Präsidentin Ana Botín ist eine von Andrea Orcels Gegenspielern.

Getty Images

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Doch es war kein blindes Sparen: Mehr als drei Milliarden Euro flossen in die Digitalisierung. Und er investierte in die Mitarbeiter: ein Inflationsausgleichsprogramm von 150 Millionen Euro, massive Investitionen in Weiterbildung über eine hauseigene Unicredit University mit mehr als 1,5 Millionen Weiterbildungsstunden im letzten Jahr, erhöhte Jobrotationsangebote, Lohnerhöhungen vor allem auf tieferer Stufe. Unicredit wurde wieder ein spannender Arbeitgeber, Uniabsolventen steuern das Geldhaus verstärkt an. Die Investitionen gelangen bei konsequentem Kostenfokus, was den Börsianern besonders gefällt: Unicredit hat heute mit 36,2 Prozent die tiefste Cost-Income Ratio der europäischen Grossbanken. Die UBS liegt bei 77,2 Prozent (allerdings bei einem anderen Geschäftsmix, der höhere Lohnkosten bedingt).

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Société Générale: Non

All die Effizienzsteigerungen haben ein Hauptziel: die Erhöhung des Aktionärswerts. Und da liefert Orcel den Börsianern nicht nur weiche Kulturwandel-Argumente, sondern harte Zahlen: Auch während des Russland-Schocks hielt die Bank ihr grossflächiges Aktienrückkaufprogramm aufrecht, jetzt sollen bis Ende Jahr weitere 8,5 Milliarden Euro an die Anteilseigner zurückfliessen. Die Eigenkapitalrendite, unter Mustier noch ein Trauerspiel, ist heute auf Rekordhöhe. Unicredit ist derzeit die einzige europäische Grossbank, die ein zweistelliges Wachstum der aus Aktionärssicht zentralen Kennzahl liefert: des Gewinns pro Aktie.

Natürlich bietet die hohe Bewertung auch eine perfekte Akquisitionswährung, und so wird Unicredit stets als erster Käufer für marode europäische Banken genannt – Commerzbank in Frankfurt, Société Générale in Paris, und natürlich galt sie bei der taumelnden Credit Suisse als möglicher Interessent. Doch auch die so lange von Politikern geforderte europäische Bankenkonsolidierung sieht Orcel ausschliesslich aus Aktionärsoptik – und da gilt: Besser kein Deal als ein schlechter Deal. Grenzüberschreitende Grossübernahmen bringen aufgrund der noch immer nicht einheitlichen Regulierungen keine Effizienzsynergien. Eine Übernahme der Société Générale, unter dem glücklosen Bankchef Slawomir Krupa nicht einmal mit einem Drittel des Buchwertes taxiert, ist für Orcel deshalb ausgeschlossen. Mit der Commerzbank gab es Gespräche, zusammen mit der HypoVereinsbank entstünde der Top-Player in der grössten Volkswirtschaft der Eurozone. Doch die Anleger reagierten skeptisch, und ob die deutsche Regierung wirklich eine Bank, an der sie noch immer 16 Prozent hält, nach Italien verkaufen würde, bleibt unklar. Von der CS wäre das Heimgeschäft für Unicredit interessant gewesen, aber es stand nie zum Verkauf – für die UBS ist es eines der Hauptassets der Übernahme.

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Ganze Macht wie Grübel

Und dass selbst nationale Übernahmen von den Märkten skeptisch gesehen werden, zeigt das Kaufangebot der spanischen BBVA an die Rivalin Sabadell. Die «Financial Times» feierte den BBVA-Chef Carlos Torres Vila zwar als «furchtlosen Bankboss», doch der Kurs sackte ab. Für Orcel sind das genau die Schlagzeilen, die er nicht will. Dass er sich einer von der italienischen Regierung geforderten Übernahme der Krisenbank Monte dei Paschi di Siena widersetzte, hat ihm in der Politik keine Freunde gebracht. Doch das hält er aus.

Fürs Geld muss er nicht mehr arbeiten. Allein 68 Millionen Euro, inklusive zehn Millionen Schadensersatz, sprach ihm ein Madrider Gericht zu, nachdem er die Nicht-Anstellung bei Santander juristisch angefochten hatte. Er hatte stets betont, von Santander einen gültigen CEO-Vertrag erhalten zu haben, was Santander bestritt. Dass die spanische Justiz der heimischen Bankenzarin Botín eine derartige Schlappe zufügte, war da eine spezielle Genugtuung. Santander, durch die starke Präsenz in Lateinamerika deutlich grösser und internationaler als die rein europäische Unicredit, wird im Vergleich zum Buchwert tiefer gehandelt als das Mailänder Haus und hat mit einem Wert von 68 Milliarden Euro ihren Vorsprung gegenüber Unicrcedit fast eingebüsst. Es wäre interessant zu sehen, wo die Bank heute mit einem CEO Orcel stünde.

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Und die UBS? Als sicher darf gelten, dass die Spekulationen um Orcel nicht abreissen, was ihren Wahrheitsgehalt jedoch nicht erhöht. Die Alpha-Männer Ermotti und Orcel beendeten ihre Zusammenarbeit eher unharmonisch. Und Orcel, da gleicht er dem Ex-CS- und UBS-Chef Oswald Grübel, beansprucht die ganze Macht – wer über ihm den Präsidenten gibt, ist nicht wirklich relevant. Das dürfte kaum nach dem Gusto von UBS-Oberlenker Kelleher sein. Zudem hat Orcel seinen Vertrag bei Unicredit gerade um drei Jahre verlängert, bei Ablauf wäre er 64 Jahre alt.

Wenn er also mal wieder in der Schweiz zu sehen ist, dann vor allem aus privaten Gründen – er liebt Zermatt.

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Dirk Schütz

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