Guten Tag,
Nach einer langen Kette von Fehlern will sich der deutsche Sportartikelhersteller vom einstigen Hoffnungsträger Reebok trennen.
Peter Steinkirchner
Adidas-Chef Kasper Rorsted verkauft Reebok und beendet damit nach 15 Jahren die unglückselige Zusammenarbeit mit den Amerikanern.
ZVG/BloombergWerbung
Kettlebells heissen die Hanteln, die Matt O’Toole vom Boden hebt und auf Schulterhöhe wuchtet. Jedes der beiden gusseisernen Rundgewichte wiegt 20 Kilo, mit ihnen im Anschlag beginnt der Reebok-Chef mit Kniebeugen. Die Adern auf der Stirn schwellen bedenklich, die Beine werden schwer, doch O’Toole pumpt weiter.
Wer ihn trainieren gesehen hat, weiss: Der Amerikaner hält durch. Da Adidas seine US-Tochter Reebok aber demnächst abspaltet, wird ihm das kaum helfen. Seine Tage an der Spitze dürften gezählt sein.
Mit der Trennung will Adidas-Chef Kasper Rorsted das Thema Reebok am liebsten abhaken. Wenn der Däne am kommenden Mittwoch seine Pläne für die nächste halbe Dekade vorstellt, wird die US-Marke kaum mehr sein als eine Randnotiz. Rorsted will den Onlineumsatz wohl verdoppeln, Nachhaltigkeit, neue Produkte wie den ersten recycelbaren Laufschuh – darum geht es.
Seine Investoren erwarten Grosses. Nachdem der Sportkonzern zu Beginn des Corona-Lockdowns Mietzahlungen für Läden verweigert und sogar einen milliardenschweren, von der Bundesregierung genehmigten Kredit von der staatseigenen Förderbank KfW in Anspruch genommen hat, träumt mancher Grossaktionär schon wieder von einer Umsatzverdoppelung auf 40 Milliarden Euro. Der Aktienkurs hat sich zuletzt wieder dem alten Höchststand von mehr als 300 Euro angenähert.
Dass Rorsteds Neuerungen umgehend eine von altem Ballast befreite Wachstumsphase einläuten, ist nicht ausgemacht. Die Trennung von Reebok ist schon technisch schwer möglich, was den Verkauf erheblich behindern kann. Zudem offenbart das Protokoll jener Fehler, die Adidas im Laufe der Jahre im Umgang mit der Marke machte, auch Schwächen in der aktuellen Konzernspitze. Aus Angst vor möglichen persönlichen Konsequenzen traute sich offenbar keiner der Konzernoberen, selber mit energischem Einschreiten das Heft bei Reebok in die Hand zu nehmen.
Vor Weihnachten 2019 steigt im Hafen der US-Ostküstenmetropole Boston ein Trupp Arbeiter bei Reebok aufs Dach. Die Männer zücken ihr Werkzeug und montieren das dreieckige, knallrote «Delta»-Firmenlogo ab, das sich O’Toole einst auf die Rippen tätowieren liess. Das unter Adidas-Ägide entwickelte Signet ersetzen sie durch den kreuzförmigen «Vector», der zuvor über Jahrzehnte für Reebok gestanden hatte. Seitdem dokumentiert das Logo weithin sichtbar: Der Eigentümer aus Deutschland hat sich geirrt.
Das Hin und Her beim Logo ist nicht der einzige Fehler in der Historie der Marke, in die Adidas weit mehr Geld und Aufwand stecken musste als jemals vorhergesagt. Statt 2006 für umgerechnet 3,1 Milliarden Euro einen Partner zu kaufen, mit dem sich der Rückstand gegenüber Weltmarktführer Nike verringern liesse, holte sich Rorsteds Vorgänger Herbert Hainer einen Dauerpatienten ins Portfolio: «Die Marke wäre ohne Übernahme wohl den Bach runtergegangen», sagt ein früherer Topmanager. «Wir hatten einen Sanierungsfall gekauft.» Reebok fehlte ein klares Profil, mal zielte man auf Rapper in den Metropolen, dann auf Vororthausfrauen im Fitnessstudio. In der Folge landeten Schuhe für 20 Dollar auf dem Wühltisch.
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Immer wieder räumte die deutsche Mutter bei Reebok auf. Fussball, Basketball, Eishockey – eine Sportart nach der anderen flog aus dem Angebot. Auch die biedere Schuhmarke Rockport, die zu Reebok gehörte, trennte Hainer ab. Insgesamt kappte Reebok gut eine Milliarde Umsatz. Stattdessen setzte die Marke auf Fitness, das Thema, mit dem sie 20 Jahre zuvor gross und zeitweise gar zur umsatzstärksten der Welt geworden war.
Matt O’Toole, damals Marketingchef, hatte den Trend vorhergesehen, lange bevor in Stadtparks Millennials Gewichte stemmten und Sit-ups übten. So schloss Reebok einen Vertrag mit CrossFit, einem damals innovativen Anbieter einer Art verschärften Zirkeltrainings. Fans gab es bis hinauf in die Adidas-Geschäftsleitung. Der frühere Marketingchef Erich Stamminger schwärmte intern vom Work-out mit der Kettlebell.
Doch O’Toole, so sehen das viele, überzog. Nachdem er 2014 das Ruder bei Reebok übernommen hatte, lenkte er die Marke mit einem einzigen Deal in eine ganz harte Ecke. Mit einem Sechs-Jahres-Vertrag band er den Brand an eine der blutigsten Sportarten überhaupt: Bei der Ultimate Fighting Championship (UFC) verdreschen sich Mixed-Martial-Arts-Kämpfer in achteckigen Käfigen nach allen Regeln der Kunst.
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«Katastrophen-Fehler»: Reebok-Chef Matt O’Toole drehte die Marke Richtung Kampfsport – und holte sich eine blutige Nase.
Boston Globe via Getty Images«Katastrophen-Fehler»: Reebok-Chef Matt O’Toole drehte die Marke Richtung Kampfsport – und holte sich eine blutige Nase.
Boston Globe via Getty ImagesDer Deal war O’Toole nicht nur 70 Millionen Dollar wert, in seiner Folge tauschte er auch das Logo aus. Das war zu viel für Reeboks Image. Markenkenner stufen die Partnerschaft, die in diesen Tagen offiziell endet, heute als «tragisch» ein. «Das war der Katastrophenfehler», sagt eine langjährige Reebok-Managerin, «unser Logo neben einer Blutlache, das stiess viele Menschen ab.»
Bei Frauen punkteten stattdessen Konkurrenten wie der erst 20 Jahre alte kanadische Yoga-Ausrüster Lululemon. Als Reebok 2015 mit UFC unterschrieb, setzten Reebok und Lululemon jeweils gut 1,8 Milliarden Euro um. Seitdem ist Reebok geschrumpft, Lululemon aber dürfte die Erlöse 2020 auf gut vier Milliarden Euro gesteigert haben.
Ein weiterer Fehler würde wohl Folgen für den gerade angelaufenen Reebok-Verkauf haben. Reebok hängt stark an der Mutter. Die Adidas-Spitze hatte die beiden ungleichen Unternehmen hinter den Kulissen bei Vertrieb, IT und Beschaffung zusammengelegt. «Joint Operating Model» nannte sich das in schönstem McKinsey-Deutsch, Konzernchef Hainer galt als grosser Fan.
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Für Reebok war das Gift. War die Marke zuvor zumindest operativ flexibel, wurde sie nun in die langsameren Bestell- und Lieferfristen von Adidas eingepasst. «Dabei war Reebok eher ein Schnellboot und Adidas ein Öltanker», sagt ein Mitarbeiter. Ausser in den USA, die für weniger als ein Drittel des Reebok-Umsatzes stehen und wo die Marken getrennt agieren, ist die Tochter nun weltweit in die Adidas-Organisation integriert. Diese Verbindung wieder zu trennen, sagt ein Insider, dürfte Jahre dauern.
Bis dahin wäre ein potenzieller Käufer davon abhängig, wie sehr sich zum Beispiel die Adidas-Vertriebsteams für Reebok ins Zeug legen. Private-Equity-Häuser könnten daher weniger bieten als Konzerne wie das US-Unternehmen VF (North Face, Timberland) oder Anta aus China, die Reebok in ihre Strukturen integrieren können. Wie lange sich eine Trennung hinzuziehen vermag, hat bereits Salomon gezeigt, der andere verunglückte Adidas-Zukauf. Als die Franken die Wintersportmarke 2005 nach sieben anstrengenden Jahren losschlugen, verpflichteten sie sich, Salomon-Produkte noch zwei Jahre lang in ihren Outlets zu verkaufen.
Reebok-Mitarbeiter halten Rorsted zugute, dass er die Marke nach seiner Amtsübernahme im Oktober 2016 nicht direkt verkaufte, sondern erst noch einmal ins Trainingslager schickte. Dass Chefcoach O’Toole jedoch so lange weitermachen durfte, wundert heute viele. Offenbar profitierte er auch davon, dass sich auf der Teppichetage von Adidas niemand «die Finger schmutzig machen» wollte, meint ein Konzernkenner.
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Zu verbreitet war im Gremium wohl die Sorge, für die sich abzeichnende Niederlage verantwortlich gemacht zu werden. Wer einen neuen Reebok-Chef installiert hätte, wäre auch für dessen Scheitern voll verantwortlich gewesen. Wie schnell Kasper Rorsted Topmanager feuert, wenn er sich Besserung verspricht, hatte er bei Adidas-Beschaffungschef Gil Steyaert gezeigt. Den hatte er selbst installiert – und nach nicht ganz zwei Jahren schon vor die Tür gesetzt.
Rorsted müsste gerade jetzt selbstbewussten, kreativen Managern Raum geben. Adidas-Markenvorstand Brian Grevy, der Ende 2019 den Amerikaner Eric Liedtke ablöste, blieb jedoch bislang blass. Abgesehen von den Ökoschuhen und diversen Kooperationen wähnen viele Beobachter die Produktpipeline leer. Die letzte grössere technische Innovation, das Sohlenmaterial Boost, stammt von 2013. «Da scheint nicht viel zu sein», sagt Peter Mahrer, ehemaliger Europachef des Konkurrenten Under Armour. «Es sei denn, sie kommen jetzt mit Überraschungen.»
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Die bräuchte es dringend. «2017 und 2018 hat Adidas in den USA Marktanteile bei Sportschuhen gewonnen», sagt Matt Powell vom US-Marktforscher NPD Group, «aber 2019 und 2020 haben sie Anteile verloren.» Von den zehn meistverkauften Sneakern in den USA stammten zuletzt neun von Nike. «Nike ist besser darin, aus Schuhen wie dem Air Max Marken zu machen», sagt Mahrer, «die werden Jahr für Jahr gekauft, da gibt es wenig Durchhänger.» Ähnliches gelang Adidas in der Grössenordnung nicht; Bestseller wie das Retromodell Superstar unterliegen den schwankenden Launen der Mode.
Am Marketing mangelt es nicht. Entgegen aller Kritik, er spare Adidas zur Rekordmarge, investierte Rorsted in die Marke. 2018 und 2019 lagen die Werbeausgaben bei je drei Milliarden Euro. Doch es fehlten die richtigen Produkte. «Ihre Styles kamen beim Kunden nicht gut an», konstatiert Powell.
Genau das muss Grevy ändern, unterstützt vom designierten weltweiten Kreativchef Denis Dekovic. Der gebürtige Kroate macht den Job seit dem abrupten Abgang von Paul Gaudio im vergangenen August kommissarisch.
Anders als andere Neulinge, die Rorsted in so grosser Zahl von BNP Paribas, L’Oréal, Gap, Danone, Innogy und auch McKinsey anlockte, ist Dekovic branchenerfahren. Der Designer kam vor fünf Jahren von Nike. An ihm und Grevy ist es, Adidas wieder zum heissen Thema auf Schulhöfen und Sportplätzen zu machen. Und zwar jetzt, nicht erst in fünf Jahren.
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