Guten Tag,
Die Mitarbeiter sind verunsichert, das Vertriebskonzept ist unklar, die Aktie am Boden – und ein veritabler Skandal noch längst nicht aufgearbeitet.
Stephan Knieps
&Henryk Hielscher
Ausgelatscht Das Adidas-Erfolgsrezept funktioniert nicht mehr. Neo-Chef Björn Gulden soll dem Sportartikelhersteller nun eine frische Strategie verpassen.
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Björn Gulden wirkt gefasst. Er ist schwarz gekleidet, Regentropfen perlen auf seiner Kapuze ab. Es ist der 9. November, der Morgen nachdem der Adidas-Aufsichtsrat entschieden hat, Gulden zum neuen Vorstandsvorsitzenden zu machen. Gulden (57), zu dem Zeitpunkt noch Chef des kleineren Rivalen Puma, postet dieses Foto von sich auf Instagram. Es sieht aus, als würde er an eine Beerdigung gehen.
«Morgenjogging im Regen», schreibt Gulden unter das Bild. «Emotionaler Tag und eine kurze Nacht! Verstehe, dass einige enttäuscht sind …» Das Leben, dichtet er weiter, sei «zu kurz, um sich Sorgen zu machen! Lebe, wenn du kannst!»
Das klingt, als wolle er sich selbst Mut zusprechen. Tatsächlich erwarten den Norweger wenig freudvolle Aufgaben auf dem Chefposten, den er Anfang Januar bei Europas grösstem Sportartikelkonzern angetreten hat. Gulden übernahm ein Unternehmen, dessen Finanzergebnisse die Investoren zuletzt gleich mehrfach enttäuschten. Dessen wichtigster Zukunftsmarkt eine schwere Krise durchlebt. Dessen Marke mit nachlassender Strahlkraft zu kämpfen hat – und mit den Nachwehen der Trennung vom wichtigsten Werbepartner Kanye West. Und dessen Belegschaft verunsichert ist vom Verhalten mancher Vorgesetzter, das so wenig zum eigenen Anspruch zu passen scheint: ein Vorbild in Sachen integrativer Diversität zu sein.
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Sicher, Adidas ist immer noch ein stabil profitables Unternehmen, hinter Nike unangefochten Nummer zwei weltweit. Doch der Konzern wirkt so ausgelaugt wie die von ihm ausgerüstete deutsche Fussballnationalelf. Früher waren deren WM-Trikots Bestseller. Nach dem Vorrunden-Aus in Katar verramscht sie Adidas mit 50 Prozent Rabatt.
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Das Erschlaffen der drei Streifen hat viel mit Guldens Vorgänger zu tun. «Adidas hat unter Kasper Rorsted an Kreativität, an ‹brand heat› und Selbstvertrauen verloren», konstatiert Christophe Bezu, bei Adidas viele Jahre verantwortlich für die Region Asien-Pazifik und den Onlinehandel. Das Produktportfolio sei «nicht mehr so beeindruckend, wie es einmal war». Doch die Entscheidung für Gulden mache «Hoffnung, dass Adidas Marktanteile und Kreativität zurückgewinnen wird», sagt Bezu. Gulden, der schon mal von 1992 bis 1999 für den Konzern arbeitete, habe «seine Leidenschaft für Adidas nie verloren».
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Vorgänger Rorsted hat in den vergangenen Jahren einen bemerkenswerten Absturz hingelegt. Als der Däne 2016 von Henkel zu Adidas wechselte (zuvor war er als neuer ABB-CEO im Gespräch), beflügelte er zunächst Investoren und den Aktienkurs. Die «Financial Times» schwärmte von seiner «intellektuellen Neugier», die «FAZ» nannte ihn «Superstar». In seinen ersten drei Jahren lieferte Rorsted auch beeindruckende Ergebnisse. Anfang 2020 erreichte der Adidas-Aktienkurs den Höchstwert von 316 Euro.
Der Absturz begann im April 2020. Wenige Wochen nach dem ersten Corona-Lockdown beantragte Adidas als erster DAX-Konzern Hilfskredite bei der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau. Der Grund: Im Zuge seiner aggressiven Renditeoptimierung hatte Rorsted die Liquiditätsreserven drastisch heruntergefahren. Zwar zahlte der Konzern die Unterstützung schnell wieder zurück. Auf Rorsteds Wirken aber lag fortan ein Schatten.
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Der wurde zuletzt immer dunkler. In Sachen Rentabilität etwa liegt Adidas derzeit hinter der Konkurrenz. Im dritten Quartal 2022 kam der Konzern auf eine operative Gewinnmarge von 8,8 Prozent vom Umsatz. Rivale Nike lag zuletzt bei 14,5 Prozent, auch Puma war mit 10,9 Prozent besser. Das liegt auch daran, dass Rorsted den chinesischen Markt falsch eingeschätzt hatte. Seit 2021 weist Adidas China als separaten Markt aus und nicht mehr als Teil des Asien-Pazifik-Raums. Die Änderung, begründete der Konzern, «spiegelt Chinas zunehmende Bedeutung als Wachstumsmarkt für das Unternehmen wider». Für 2021 rechnete man mit 20 bis 30 Prozent Umsatzplus. Stattdessen folgten ab Mitte 2021 vier Quartale in Folge mit zweistelligen Umsatzeinbrüchen. Im März tauschte Adidas den China-Verantwortlichen aus. «Wir waren nicht gut genug darin, die Konsumenten zu verstehen», sagte Rorsted. Die Käufer vor Ort wollten einen «chinesischen Touch».
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War das vorher wirklich unbekannt? Auch wegen des China-Desasters musste Rorsted 2021 gleich viermal die Adidas-Gewinnprognose kassieren. Statt 1,9 Milliarden Euro erwartet der DAX-Konzern nun nur noch einen überschaubaren Profit von 250 Millionen Euro. Die Adidas-Aktien verloren angesichts der Probleme rasant an Wert. Bei Rorsteds Ausscheiden vor vier Wochen waren sie exakt so viel – oder wenig – wert wie bei seinem Einstieg vor knapp sechs Jahren.
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Der «Superstar»-CEO verschwand leise. Gab es für seinen Vorgänger Herbert Hainer noch ein Abschiedsfussballspiel auf dem Adidas-Campus, inklusive «Danke, Hainer»-T-Shirts, erfolgte Rorsteds Abschied fast gespenstisch nüchtern. In der letzten Telefonkonferenz zu den Quartalszahlen Anfang November bedankte er sich rund eineinhalb Minuten bei allen Zuhörern, dann übergab er an Adidas-Finanzchef Harm Ohlmeyer. Der amtete als Interims-CEO – für gerade mal sieben Wochen. Am selben Tag verabschiedete sich Rorsted noch bei einer Mitarbeiterversammlung in der Firmenzentrale. Das wars. «Viele im Unternehmen denken: Es wurde jetzt auch mal Zeit», sagt ein Adidas-Geschäftspartner. Offiziell heisst es naturgemäss, die «Grundstimmung» bei den Angestellten sei «positiv», man freue sich auf den «Neuanfang». Gulden eile ein «positiver Ruf voraus, der ist auch bei den Mitarbeitenden angekommen». In jedem Fall ist der Wechsel Guldens ein Ereignis. Noch nie in der langen Geschichte der beiden Herzogenauracher Unternehmen Adidas und Puma, gegründet Ende der 1940er Jahre von den beiden konkurrierenden Brüdern Adi und Rudolf Dassler, hat ein Vorstandschef die Seiten gewechselt.
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An der Börse kam die Personalie bestens an. Als Guldens Name Anfang November erstmals kursierte, schoss der Aktienkurs um zwischenzeitlich 30 Prozent nach oben. Dass Vorschusslorbeeren bitter schmecken können, wissen Adidas-Beobachter genau: Auch bei den ersten Gerüchten um eine Verpflichtung von Rorsted im Januar 2016 reagierte die Börse und beförderte die Adidas-Papiere um zwölf Prozent nach oben – Monate bevor Rorsted bei Adidas anheuerte. Der langfristige Effekt: null.
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Beobachter suchen nun nach Indizien dafür, dass es diesmal anders laufen wird. Dass Gulden die Probleme seines neuen Arbeitgebers langfristig lösen kann. Drei zentrale Aufgaben warten auf ihn: ein anderes Verständnis von Händlerbeziehungen etablieren, wie er es bei Puma neun Jahre vorlebte. Die Stimmung und den Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft drehen. Und schliesslich: die Begehrlichkeit der drei Streifen wieder steigern.
Dass er das schaffen kann, glauben viele. «Gulden hat mehr die Sicht auf die Marke», so ein Adidas-Geschäftspartner, «das ist unter Rorsted etwas verloren gegangen.» Eine ehemalige Puma-Führungskraft ergänzt: «Rorsted hat mit seinem Kapitalmarkt- und Effizienzfokus bei Adidas die Kultur verändert, nicht unbedingt zugunsten von Adidas. Gerade in den kreativen Bereichen wird das einen Impact haben.»
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Neue Inspiration wird aber auch Gulden nicht sofort liefern können: Was demnächst an Schuhen und Shirts in den Verkauf gehen wird, trägt noch Rorsteds Handschrift. Es dauere «locker eineinhalb bis zwei Jahre, bis man auf Produktseite kreative Akzente setzen kann», sagt der Ex-Puma-Manager.
Gulden weiss das, er kennt das Business und die Firma. Seine sieben Jahre bei Adidas markierten den Beginn seiner Zweitkarriere im Management, nachdem er seine erste Karriere – Fussballprofi, genau wie sein Vater Arild Gulden – 1988 wegen einer Verletzung hatte beenden müssen. Nach Stationen beim Schuhhändler Deichmann und beim Schmuckanbieter Pandora wechselte er 2013 als Chef zu Puma.
Unter seiner Führung hat Puma den Umsatz von rund 3 Milliarden (2014) auf zuletzt 6,8 Milliarden (2021) gesteigert; der Gewinn kletterte im selben Zeitraum von 64 Millionen auf 309 Millionen Euro. Gulden habe es verstanden, «die Marke neu zu positionieren und die Prozesse innerhalb des Konzerns zu beschleunigen», heisst es bei Puma. So habe Puma wieder schneller auf weltweite Trends reagieren können. Gewiss, auch Rorsted kann in seiner Amtszeit eine Umsatzsteigerung vorweisen, aber sie fällt deutlich unspektakulärer aus (von 19 Milliarden auf 21 Milliarden Euro).
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Foto: PD
Als Puma-Chef pflegte Gulden stets die Beziehungen zu den Sport- und Bekleidungshändlern – ganz anders als Rorsted. In dessen im März 2021 vorgestelltem Fünfjahresplan «Own the game» hatte der Direct-to-Consumer-Ansatz Priorität, was viele Händler verärgerte. Adidas, so das Ziel, soll bis 2025 die Hälfte des Umsatzes über eigene Vertriebskanäle erwirtschaften. Damit gemeint sind der Onlinehandel sowie die weltweit rund 2200 eigenen Adidas-Geschäfte. Im vergangenen Geschäftsjahr lag der Anteil bei 38 Prozent.
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Der Vorteil: Verkauft Adidas Schuhe, Hosen, Bälle und Trikots ohne Umwege über die Händler, muss der Konzern keine Marge an sie abdrücken. Zudem behält er die Kontrolle über Produktpräsentation und Kundendaten.
Der Nachteil: Adidas trägt so das Risiko allein und muss viel investieren. In eigene Geschäfte, eigenes Personal sowie den Aufbau und Unterhalt einer eigenen Handelsorganisation. Viele Produkte, allen voran Trainingsschuhe, gelten als erklärungsbedürftig. Werden sie online gekauft, gibt es viele teure Retouren. Dennoch startete Rorsted schon 2018 das Kundenbindungsprogramm «Creators Club», das Mitgliedern exklusiv Zugang zu Produkten und Events gewährt.
Sein Nachfolger setzt stärker auf den indirekten Vertrieb. «Ich glaube, mein Weg mit dem Handel ist besser», sagte Gulden im vergangenen Jahr der deutschen Fachzeitschrift «TextilWirtschaft». Kunden wollten nicht nur Schuhe einer Marke sehen, sondern diese im Umfeld mit anderen: «Das ist eine Philosophie.» Zudem sei der Vertrieb über Puma-eigene Kanäle «auch mit verschiedenen Risiken verbunden», heisst es im letzten Puma-Geschäftsbericht: Die notwendigen Investitionen «in den Ausbau und die Infrastruktur, die Einrichtung der Läden, höhere Fixkosten und Mietverträge mit langfristigen Mietverpflichtungen» könnten die «Profitabilität beeinträchtigen». 2021 erzielte Puma unter Gulden nur etwa 25 Prozent des Umsatzes im Direktgeschäft.
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«Puma hat sich im Rahmen einer Multi-Channel-Strategie deutlich stärker als Adidas auf die Zusammenarbeit mit dem Sportfachhandel fokussiert», lobt denn auch Dominik Solleder, Co-Geschäftsführer des grössten deutschen Sporthändlerverbundes Sport 2000. Adidas dagegen, berichtet ein anderer Sporthändler, habe Verträge gekündigt und die Zahl der Ansprechpartner für den Handel bis zur Unkenntlichkeit ausgedünnt. Gulden habe man schon mal zu Gesicht bekommen, sagt einer aus dem Handelsnetzwerk Sport 2000 – «Rorsted dagegen nie». Viele Händler im deutschsprachigen Raum sind nicht mehr gut auf Adidas zu sprechen. Sie kritisieren die teils schroffe Wortwahl bei Kündigungen.
Die Adidas-Headquarters in Herzogenaurach, Deutschland.
Alamy Stock PhotoDie Adidas-Headquarters in Herzogenaurach, Deutschland.
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Ein früherer Puma-Manager erklärt den Erfolg seines Ex-Arbeitgebers auch damit, dass Konkurrent Nike verstärkt auf den eigenen Vertrieb gesetzt habe. «Damit tat sich im Handel eine Nische auf, die Puma konsequent genutzt hat.»
Die grosse Frage lautet nun, wie Gulden bei seinem neuen Arbeitgeber agiert. Wird er die nicht mal zwei Jahre alte Vertriebsstrategie seines Vorgängers aufweichen? Will er die Händler zurückgewinnen – oder passt er seine Philosophie der neuen Situation an? «So eine Strategie kann man auch adaptieren», sagt ein Kenner der deutschen Sporthandelsbranche. «Ich erwarte schon, dass ein neuer CEO ein paar Pflöcke einschlagen wird. Gut möglich, dass Gulden wieder stärker auf die Händler zugehen wird.»
Ab und an kooperierte aber auch Rorsted mit den Händlern – wenn es ihm nützlich erschien. So verkündete Adidas im Mai 2022 eine Partnerschaft mit Foot Locker. Die Zusammenarbeit sollte die New Yorker Handelskette als «führenden Partner für Adidas in der Kategorie Basketball etablieren» sowie die «Einführung von Hype-Produkten beschleunigen».
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Basketball? Die Sportart spielte bei Adidas keine grosse Rolle. Doch Rorsted registrierte wohl Pumas wachsende Erfolge im Basketball –vor allem entfacht durch einen Personalcoup von Gulden: 2018 machte er den US-Rapper Jay-Z zum «Creative Director» für die Basketballsparte. Er spendierte ihm sogar einen Gulfstream-Privatjet – mit Puma-Emblem auf der Heckflosse. In der Folge jettete der Musiker um die Welt. Jay-Z warb dabei nicht bloss zahlreiche Nachwuchssportler für Puma an, sondern sorgte auch für «Street Credibility», wie Pumas US-Chef Bob Philion es gegenüber dem «Spiegel» ausdrückte. Ziel sei es, durch Basketball wieder stärker Teil der Jugendkultur zu werden.
Da wollte Adidas nicht am Spielfeldrand stehen: Ende 2020 warb der Konzern den US-Designer Jerry Lorenzo als Kreativverantwortlichen für seine Basketballlinie ab; er hatte zuvor mit Nike kooperiert. Der Mann hat es mit seiner Firma Fear of God geschafft, eine Luxus-Strassenmodemarke zu etablieren; eine Jogginghose kann schon mal 750 Euro kosten. Überdies hilfreich: Zu seinen Anhängern zählen zahlreiche Prominente wie die Popstars Justin Bieber und Selena Gomez sowie Model Gigi Hadid.
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Basketball ist bei Adidas keine Kernsportart wie Fussball, sondern zählt zum Segment Lifestyle. Dass die Franken hier nachlegen wollen, hat einen Grund. Zwischen 2021 und 2025 soll der globale Sportmodemarkt um rund 100 Milliarden Euro wachsen. 50 Prozent des Wachstums, so zumindest Rorsteds Prognose, dürften aus dem Lifestyle-Segment kommen. Die Produkte werden vor allem durch einen Faktor getrieben: Prominente.
«Der Erfolg von Lifestyle-Produkten steht und fällt mit Kollaborationen», sagt der Ex-Puma-Manager. Hier hatte Gulden früh ein gutes Gespür bewiesen – und auch Glück: Ende 2014 etwa konnte er Sängerin Rihanna für eine langfristige Kooperation gewinnen. Den Kontakt vermittelt hatte der damalige Puma-Grossaktionär: der französische Luxuskonzern Kering. Rihanna sollte fortan als «Kreativdirektorin» für Puma Trainingskleidung gestalten. Daraus entstand die erfolgreiche Marke Puma Fenty.
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«Solche Kooperationen sind äusserst lukrativ für die Sportartikelkonzerne», sagt Sportmarketingprofessor Florian Riedmüller. Er war selbst Manager bei Nike und Adidas, heute lehrt er an der Technischen Hochschule Nürnberg. In der Regel werde ein vorhandenes Schuhmodell von einem Star etwas umgestaltet, etwa mit eingenähten Slogans oder speziellen Farben verziert. «Da muss keine ausgefeilte Technologie oder eigene Passform entwickelt werden», sagt Riedmüller. Die Produktion ist eingespielt und kann schnell hochgefahren werden. Im Vergleich zu komplett neuen Kreationen sei das «extrem effizient und hochprofitabel». Zumindest, wenn es einem Hersteller gelingt, die zur Marke passenden Celebrities zu verpflichten.
So setzt Nike etwa auf die Sängerin Dua Lipa, Puma auf Billie Eilish und Adidas auf Beyoncé – allesamt Weltstars mit Hunderten Millionen Followern in den sozialen Netzwerken. Ihre Reichweite befeuert die Nachfrage. Wann immer sie neue Kollektionen ankündigen, schiessen die Suchanfragen bei Google nach oben, zeigen Daten, die Riedmüller ausgewertet hat. Mit der Marke Ivy Park hätten es Adidas und Beyoncé sogar geschafft, eine eigenständige Bekleidungslinie zu etablieren: «Die Leute suchen nicht mehr unbedingt nach Adidas und Beyoncé, sondern direkt nach Ivy Park.»
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Botschafterrisiko Promi-Partner können Adidas beflügeln wie Superstar Beyoncé (im Bild) – oder schädigen wie Skandalrapper Kanye West.
PDBotschafterrisiko Promi-Partner können Adidas beflügeln wie Superstar Beyoncé (im Bild) – oder schädigen wie Skandalrapper Kanye West.
PDNoch erfolgreicher lief es für Adidas jahrelang mit den Yeezy-Sneakern von Kanye West. Sie standen zuletzt für fast 7,5 Prozent des gesamten Umsatzes – und werden künftig fehlen. Nachdem der US-Rapper immer verhaltensauffälliger agierte und mit antisemitischen Ausfällen provozierte, setzte Adidas einen Schlusspunkt unter die Kooperation, die den Konzern noch geraume Zeit auf Trab halten dürfte. «Bis neue Produkte in die Läden kommen, dauert es rund eineinhalb Jahre», sagt Riedmüller. Produktionsmengen müssten erst geordert, Fabriken für die Fertigung reserviert werden. «Für Yeezy standen solche Details bis Anfang 2024 fest, jetzt muss Adidas umsteuern.»
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Der Fall Kanye West zeige, dass sich Adidas zu abhängig gemacht hat. «Die Strahlkraft der Marke wurde teils an Dritte abgegeben», sagt Riedmüller. Investitionen in neue Schuhtechnologien oder in kleinere Sportarten seien dagegen vernachlässigt worden. «Wo ist die bahnbrechende neue Sohle oder die hypermoderne Form, die jeder haben will?», fragt Riedmüller.
Rorsted setzte lange auf etablierte Erfolgsmodelle wie «Superstar» und «Stan Smith». Vor allem der nach einem früheren, heute 75 Jahre alten Wimbledon-Sieger benannte Schuh ist bitter abgestürzt. Noch 2016 hatte Adidas den «Stan Smith» als «meistverkauften Sneaker» überhaupt gefeiert. Doch die Omnipräsenz ging auf Kosten der Begehrlichkeit. Schon 2019 erklärte Rorsted, dass sich die Verkäufe «normalisiert» hätten. Im Internet ist das Paar aktuell für weniger als 40 Euro zu haben, der vorgesehene Verkaufspreis liegt bei knapp 100 Euro. Sondermodelle sollten den Erfolgsgaranten wieder beleben. Ob Editionen mit den Konterfeis von Kermit dem Frosch oder dem «Star Wars»-Charakter Boba Fett wirklich dazu geeignet sind?
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Echte Innovation zu fördern, wird eine der zentralen Aufgaben des neuen Chefs. Bei Puma, loben Insider, habe er dem Running-Bereich mit neuen Modellen wieder Leben eingehaucht und zugleich auf Sportfelder gesetzt, bei denen Puma eine Historie hat und die über Wachstumspotenzial verfügen. Dabei werde die Bedeutung von Star-Kooperationen in Zukunft noch zunehmen, erwartet Riedmüller. Zu lukrativ sei das Geschäftsmodell. Und zu mühsam sei es, der Generation Z auf anderen Wegen neue Produkte schmackhaft zu machen.
Schmerzhaft sind auch die jüngsten Erkenntnisse in Sachen Betriebsklima und Arbeitskultur. Angefangen hatte alles mit dem gewaltsamen Tod von George Floyd im Mai 2020 in Minneapolis. Die daraufhin aufkommende Rassismusdebatte hatte schnell auch die Adidas-Belegschaft erreicht, insbesondere in den USA. Hier wurde vor allem die langjährige Personalchefin Karen Parkin heftig angegangen. Adidas-Angestellte erinnerten an eine Mitarbeiterversammlung, bei der Parkin den Rassismus in den USA als «noise» bezeichnet hatte: als «Lärm», der mit Adidas nichts zu tun habe. Vor allem in der US-Zentrale von Adidas in Portland protestierten Mitarbeitende gegen schlechtere Aufstiegschancen und auch gegen Parkin – bis diese Ende Juni 2020 zurücktrat.
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Ausgespielt Ex-Adidas-Chef Kasper Rorsted agierte wenig kreativ und glücklos.
BloombergAusgespielt Ex-Adidas-Chef Kasper Rorsted agierte wenig kreativ und glücklos.
BloombergRorsted holte Parkins Nachfolgerin, die Britin Amanda Rajkumar, zum Januar 2021 von der Grossbank BNP Paribas in den Adidas-Vorstand. Von dort aus lancierte sie ein «Data Diversity Dimension Project»: Die freiwillige Umfrage unter allen Mitarbeitenden sollte «die Vielfalt des Unternehmens» erfassen. Abgefragt wurden beispielsweise Alter, Geschlecht, Herkunft und sexuelle Orientierung, alles anonym. Bei der erstmaligen Erhebung, angefangen im Juni dieses Jahres, lag die Teilnahmequote laut Adidas «mit über 40 Prozent über den Erwartungen und auch über externen Benchmarks».
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Mittlerweile hinterfragen viele die Glaubwürdigkeit des Diversitätsförderungsprogramms. Der Grund dafür sind aktuelle Enthüllungen: Laut dem US-Magazin «Rolling Stone» soll der ehemalige Adidas-Partner Kanye West Yeezy- und Adidas-Mitarbeitern Pornos vorgespielt und ihnen Nacktbilder seiner Ex-Frau Kim Kardashian plus eigene Sexvideos gezeigt haben. Das Schlimmste aus Adidas-Sicht: In einem Brief prangerten einige hochrangige Mitarbeiter die Adidas-Führung an, sie habe schon lange von Wests «problematischem Verhalten» gewusst, aber «ihren moralischen Kompass ausgeschaltet». Adidas kündigte an, «unverzüglich eine unabhängige Untersuchung» einzuleiten.
Wenige Tage später berichtete die «Financial Times», Vertriebsvorstand Roland Auschel habe vergangenes Jahr eine «letzte Warnung» erhalten wegen wiederholter «unangemessener und inakzeptabler» Äusserungen über die Vielfalt und Diversität bei Adidas. Eine Reihe von Mitarbeitern soll sich bei der Personalabteilung über Auschel beschwert haben, weil sie manche Bemerkungen als «abwertend, diskriminierend und rassistisch» empfanden. Für Irritationen sorgt auch, dass das Management den Teamgedanken offenbar nicht vorlebt. «Es gab einige Unstimmigkeiten und Spannungen im Vorstand», weiss Ex-Asien-Chef Christophe Bezu, «etwa was Entscheidungen zu operativen Fragen und die Ausgabe von Marketinggeldern betraf.»
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Angst haben müssten sie bei Adidas nicht, heisst es bei Puma. Gulden führe pragmatisch, gebe direkt Feedback, sei «sehr nah an der Basis» und bodenständig. Wohl wahr: Ende November verbrachte Gulden nicht etwa bei der Fussball-WM in Katar – sondern beim Weltcup der Nordischen Kombinierer in der norwegischen Kleinstadt Lillehammer. Den Weltcupsieg feierte übrigens: ein Norweger.
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