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Studien, die Karriere machen

Wer es bis ins Topmanagement schaffen will, muss studieren. Doch das alleine reicht nicht mehr. Und Wirtschaft muss es auch nicht zwingend sein.

Corinna Clara Röttker

Corinna Clara Röttker

Graduates throwing mortarboards into blue sky over city financial district | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.

Universitätsabschluss: Fast alle Schweizer Topmanager haben studiert – die meisten Wirtschaft.

picture alliance / Ikon Images/T

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Nick Hayek ist anders als andere Schweizer Topmanager: nicht nur, weil er stets ohne Krawatte, dafür umso lieber mit Zigarre auftritt und überdies deutlich sagt, was er denkt. Der Chef der Swatch Group gilt schon allein wegen seines Werdegangs als Exot. Einen Hörsaal sah er zwar einst in jungen Jahren von innen, doch nach drei Semestern Marketing-Studium an der Universität St.Gallen hatte er genug. Hayek schmiss hin und ging stattdessen nach Paris an eine Filmakademie, gründete eine Produktionsfirma und drehte Kurzfilme. Heute lenkt er mit der Swatch Group den weltweit grössten Uhrenhersteller.

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Was hierzulande exotisch daherkommt, ist im Silicon Valley fast schon die Norm: ob Facebook-Chef Mark Zuckerberg, Microsoft-Gründer Bill Gates, Snapchat-CEO Evan Spiegel, Apple-Legende Steve Jobs, Libra-Chef David Marcus oder Unternehmer Michael Dell – sie alle haben es ganz ohne universitären Abschluss bis an die Spitze eines internationalen Unternehmens geschafft. Tesla-Guru Elon Musk hat sein Studium gar bereits nach zwei Tagen hingeschmissen. Und auch Software-Milliardär Larry Ellison wollte sich, statt zu pauken, lieber als Programmierer durchschlagen. Das Bildungssystem halte einen dazu an, «gut zuzuhören, statt selbst zu denken», sagte Ellison vor Jahren auf die Frage, welche Ausbildung es brauche, um als Unternehmer erfolgreich zu sein, gegenüber BILANZ. «Wenn es um Innovation geht, hilft Ihnen Ausbildung nicht viel. Nur wenn man selbst denkt, kann man Fehler finden und Althergebrachtes auf eine neue, bessere Weise angehen.»

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Ohne Studium geht es nicht

Topmanager ohne Hochschulabschluss? Einer neuen HSG- Studie zufolge gibt es das nur noch selten. Zumindest in der Schweiz. Denn: Unter den Geschäftsleitungs- und VR-Mitgliedern der 100 grössten Schweizer Firmen finden sich fast ausschliesslich Akademiker. «Mit 95 Prozent haben praktisch alle Personen mit oberster Leitungs- und Aufsichtsfunktion eine Aus- oder Weiterbildung an einer Hochschule oder vergleichbaren Institution besucht», sagt Studienleiter Georg Guttmann.

Im Rahmen der Erhebung wurden die Werdegänge von insgesamt 1497 Führungskräften durchleuchtet. Das Ergebnis: Während 36,9 Prozent einen Master und 16,1 Prozent einen Bachelor haben, verfügen zudem 15 Prozent über einen MBA (siehe Grafik unten). Einen Doktortitel hält jeder Vierte. Vor allem aber: Mehr als die Hälfte von ihnen hat Wirtschaft studiert, gefolgt von Ingenieurwesen und Recht (siehe Grafik unten). Schweizer Führungskräfte sind damit vor allem Generalisten, sogenannte Allrounder, mit dem Blick fürs grobe Ganze, wie es Betriebswirten und Juristen gerne nachgesagt wird. Die Schlussfolgerung: «Wer eine Führungsposition haben will, kommt um ein Managementstudium – mindestens in Form einer Weiterbildung – nicht herum», sagt Guttmann.

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Ausbildung Topmanager Grafik

*1497 Geschäftsleitungs- und Verwaltungsratsmitglieder der 100 grössten Unternehmen der Schweiz nach Marktkapitalisierung.

Executive School der Universität St. Gallen
Ausbildung Topmanager Grafik

*1497 Geschäftsleitungs- und Verwaltungsratsmitglieder der 100 grössten Unternehmen der Schweiz nach Marktkapitalisierung.

Executive School der Universität St. Gallen

Renommierte Universität mitentscheidend

Auch die Wahl der Universität ist entscheidend für den Karriereverlauf: «Alumni von renommierten Universitäten schaffen es besonders häufig in das Topmanagement grosser Schweizer Unternehmen», sagt Guttmann. Besonders empfehlenswert sind die hiesigen Ausbildungsstätten: 20 der 100 grössten Unternehmen haben einen HSG-Absolventen als CEO, und in 80 von 100 Unternehmen sitzt mindestens ein solcher in der Geschäftsleitung oder im Verwaltungsrat. Fast ähnlich häufig zu finden sind Kandidaten von der ETH Zürich, gefolgt von jenen der Universität Zürich (siehe Grafik unten). «Da zeigt sich die Qualität der Schweizer Universitäten. Sie geniessen internationale Anerkennung, weswegen auch viele Ausländer hier studieren.»

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Grafik Hochschulen HSG
Executive School der Universität St. Gallen
Grafik Hochschulen HSG
Executive School der Universität St. Gallen

Ein Musterschüler, wie er im Buche steht, ist Nestlé-Chef Mark Schneider: Die zehnte Klasse des Gymnasiums hat der gebürtige Deutsche übersprungen, in St. Gallen schnell und mit sehr gutem Abschluss Finanz- und Rechnungswesen studiert, wissenschaftlich gearbeitet, in Betriebswirtschaft promoviert und ausserdem einen MBA der Harvard University absolviert. Nach seinem Wechsel in die Wirtschaft ist er rasant in Führungspositionen aufgestiegen und für seinen Arbeitgeber für eine Weile ins Ausland gegangen, bis er schliesslich die Geschäftsleitung erst von Fresenius und schliesslich 2017 des weltweit grössten Lebensmittelkonzerns übernahm.

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Auch Valora-Chef Michael Mueller schlug den klassischen Weg ein: Auf das Jurastudium an der Universität St. Gallen folgten Stationen als Unternehmensberater, ehe die ersten Kaderpositionen auf ihn warteten. Eine juristische Karriere hatte er nie im Sinn: «Mich persönlich haben die Herausforderungen einer Führungsrolle in der Wirtschaft schon früh fasziniert», sagt Mueller. «Für das Studium hatte ich mich entschieden, weil mir das Verständnis des rechtlichen Fundaments und Denkmodells unseres Wirtschaftens sinnvoll erschien. Ausserdem mussten die Studenten der Rechtswissenschaften damals auch BWL- und VWL-Grundkurse abschliessen.»

Spezialisten mit Managementwissen

Doch der Blick in die Daten zeigt eben auch: Spezialisten wie Ingenieure schaffen es ebenfalls bis ganz nach oben. Geht es nach Headhunter Guido Schilling, sind diese gar die CEOs der Zukunft. «Immer mehr Auftraggeber bevorzugen Kandidaten mit einem Studium, das mit der Kernthematik ihres Unternehmens zu tun hat.» Der Grund: Viele Firmen fordern von ihrer obersten Führung neben Branchenerfahrung ein facettenreiches Know-how und ein tieferes Verständnis vom Kerngeschäft. «Spezialisten zeichnen sich durch systematische und analytische Problemlösungskompetenzen aus und haben einenausgeprägten Forschungs- und Innovationsgeist», so Schilling. Zudem bieten Technische Hochschulen den Studenten einen starken Anwendungs- und Projektbezug, während sich Generalisten im Studium Wissen über theoretische Modelle aneignen.

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Auch beim Basler Agrarkonzern Syngenta profitiert man von der Fachexpertise: «Wissenschaft und Forschung sind für unseren Erfolg von entscheidender Bedeutung», sagt CEO Erik Fyrwald. «Aktuell stärken wir unsere Forschungstätigkeiten sowohl im Saatgut- als auch im Pflanzenschutzbereich. Ein naturwissenschaftlicher Hintergrund ist für unsere Führungskräfte daher besonders wertvoll und nützlich.» Der Amerikaner, seit 2016 Konzernchef und seit letztem Jahr auch Mitglied des Verwaltungsrats, studierte Chemieingenieurwesen – für ihn die perfekte Grundlage für seinen späteren Werdegang. «Obwohl ich nicht promoviert habe, verfüge ich über ausreichend Fachwissen. So kann ich sicherstellen, dass wir die richtigen Leiter im Bereich Forschung und Entwicklung haben, um die besten Produkte auf den Markt bringen zu können. Und ich kann Akquisitionsmöglichkeiten einschätzen», so Fyrwald.

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Doch Expertenwissen im Kernbusiness allein reicht nicht aus. «Absolventen eines fachspezifischen Studiums brauchen zwingend eine wirtschaftliche Zusatzausbildung. Denn Managementkompetenzen sind wie Führungserfahrung unabdingbare Voraussetzungen, die ein CEO mitbringen muss», sagt Headhunter Schilling. Für Spezialisten heisse das, dass sie das betriebswirtschaftliche Rüstzeug in der Praxis erwerben müssen und ihr Know-how idealerweise mit einem MBA vertiefen sollten. «MBA-Programme sind wie gemacht für Spezialisten: Sie erhalten damit den letzten Mosaikstein zu einem gesuchten CEO-Profil.»

Erik Fyrwald hängte nach seinem Chemiestudium ein Advanced Management Program an der renommierten Harvard Business School an. «Ich hatte das Gefühl, dass ich über genügend technische Ausbildung und Berufserfahrung verfüge, um CEO zu sein. Mir fehlte es aber an ausreichendem Verständnis für finanzielle Aspekte, wie etwa Cashflow oder Return on Investment», so der Syngenta-Chef.

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Ähnlich erging es Michael Rechsteiner. Der Maschinenbauer ist Verantwortlicher für General Electric in der Schweiz und zudem im Verwaltungsrat der Swisscom. «Damals war das Ingenieurstudium noch sehr techniklastig, und betriebswirtschaftliche Zusammenhänge wurden wenig vermittelt», sagt er. «Diese Lücke wollte ich mit einem berufsbegleitenden MBA-Studium schliessen.»

Stellenwert der Weiterbildung steigt

Laut Schillingreport 2019 hat der Anteil der CEOs, die eine Weiterbildung etwa in Form eines MBA gemacht haben, seit 2007 von 38 auf 50 Prozent zugenommen. Denn: «Die Chancen auf eine Führungsposition sind für spezialisierte Akademiker ohne wirtschaftliche Zusatzausbildung stark eingeschränkt», so der Headhunter. Doch auch für Generalisten gilt: Sich fachlich wie persönlich weiterzuentwickeln, ist heute das A und O. «Wie Spitzensportler müssen Manager trainieren, um sich zu verbessern. Darauf achten Unternehmen bei der Selektion heute ganz besonders.»

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Grafik Doktortitel MBA

*1497 Geschäftsleitungs- und Verwaltungsratsmitglieder der 100 grössten Unternehmen der Schweiz nach Marktkapitalisierung.

Executive School der Universität St. Gallen
Grafik Doktortitel MBA

*1497 Geschäftsleitungs- und Verwaltungsratsmitglieder der 100 grössten Unternehmen der Schweiz nach Marktkapitalisierung.

Executive School der Universität St. Gallen

Dass der Stellenwert der Weiterbildung steigt, beobachtet man auch an der HSG: Laut Studie haben 72 Prozent der betrachteten Geschäftsleitungen und 79 Prozent der Verwaltungsräte mindestens ein Mitglied, das eine Weiterbildung absolviert hat. Dies sind häufig kürzere Formate von einigen Tagen, die auf ganz spezifische Herausforderungen fokussieren: Lehrgänge für Verwaltungsräte etwa, bei denen es um die Stärkung der VR-Praxis geht, oder Weiterbildungen für Geschäftsleitungsmitglieder zu Leadership oder aktuellen Themen wie der digitalen Transformation. «Wer dauerhaft international wettbewerbsfähig sein möchte, kommt heute um lebenslanges Lernen nicht herum», sagt Guttmann. «Insofern kann erwartet werden, dass Weiterbildungen künftig ein selbstverständlicher Bestandteil der Bildungsbiografien von eher mehr als weniger Geschäftsleitungs- und VR-Mitgliedern sein werden.»

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MBA gefragter als Promotion

Die Relevanz von Doktortiteln scheint hingegen abzunehmen. «Der Doktor ist unter jüngeren Topmanagern nicht mehr so nachgefragt, stattdessen entscheiden sie sich eher für einen MBA.» Die HSG-Erhebung zeigt: 21 Prozent der Kaderleute, die in den 1980er Jahren geboren sind, haben einen MBA, 16 Prozent einen Doktortitel. Bei den Topmanagern mit Geburtsjahr in den 40er Jahren ist es umgekehrt: 39 Prozent von ihnen haben promoviert und nur 8 Prozent einen MBA. «Vor allem in wissensintensiven Branchen wie Pharma, Technologie oder Financial Services ist der Doktortitel heute noch anzutreffen», sagt Guttmann. Der Grund für die Entwicklung: MBA und Doktortitel haben eine unterschiedliche Signalfunktion. Während der MBA ein Ausweis dafür ist, dass man Managementwissen erworben hat, signalisiert eine abgeschlossene Promotion, dass man fähig ist, international kompetitiv zu forschen. Hinzu kommt: Weil Doktorprogramme auf eine akademische Lauf bahn ausgerichtet sind, dauern diese dreimal so lang wie ein MBA-Programm, überdies ist der Praxisbezug deutlich niedriger.

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Derartige Abschlüsse spielen bei der Swatch Group nur eine geringe Rolle. Vielmehr sind es die Qualitäten der Personen, ihre Motivation, ihre Erfahrung, ihre Kreativität, ihre Kompetenz, ihr Know-how und ihr Enthusiasmus, welche im Vordergrund stehen, wie es auf Anfrage heisst. Bereut Firmenchef Nick Hayek heute, dass er sein Studium abgebrochen hat? Im Gegenteil, lässt er in typischer Manier verlauten. Er hätte das sogar früher tun sollen.

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