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Kurt W. Zimmermann: Der Aufstieg von Drossling Carlo

Von Vögeln kann man lernen, wie man Karriere macht. Beim Aufstieg braucht es soziale Kompetenz, oben dann das Gegenteil.

Kurt. W. Zimmermann

Kurt W. Zimmermann

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Die Graudrosslinge sind ­ge­sellige Vögel. Sie leben in Gruppen. Eine Gruppe ­besteht aus zehn bis zwanzig Tieren. Es gibt eine klare Hierarchie. Der Chef der Gruppe, das Alphatier, dominiert alles. Nur der Chef hat Sex, und zwar nur mit dem jeweiligen ranghöchsten Weibchen. Alle andern dürfen nur zuschauen. Ihnen ist Fortpflanzung untersagt.

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Und was hat das mit Carlo Reusler zu tun? ­Ziemlich viel.

Konrad Reusler, genannt Carlo, war mein Chef in einem grossen Industriebetrieb. Der Name ist ­ge­ändert, der Rest stimmt. Er hatte nie eine Univer­sität besucht und begann als kleiner, technischer ­Assistent. Doch seine Karriere war traumhaft. Erst wurde er Leiter eines Profitcenters. Dann wurde er Pro­duktionschef. Dann stürzte er den Vorsitzenden der Konzernleitung und wurde selber Nummer eins. Alle im Haus nannten ihn Carlo.

Diese Aufstiegsstory bringt uns zu den Graudrosslingen zurück. Auch hier wollen natürlich die Beta- und die Gammamännchen der Gruppe selber zum Alphatier aufsteigen. Sie stehen in ständiger Konkurrenz. Den Konkurrenzvorteil, so beobachtete der Biologe Amotz Zahavi, holen sie sich aber nicht im Kampf Männchen gegen Männchen. Sie holen ihn durch Prestige. ­Prestige erlangt man unter Graudrosslingen durch altruistisches Verhalten. Je sozialer man sich verhält, umso besser werden die eigenen Karriere- und Paarungschancen. Die Tiere sind deshalb permanent darum bemüht, ihrer Gruppe zu helfen.

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Graudrosslinge stehen Wache, während die anderen fressen. Sie füttern die anderen Vögel, obwohl sie selbst noch hungrig sind. Sie ­riskieren ihr Leben, um gefährliche Schlangen und Greifvögel zu ver­treiben. Sie wett­eifern dauernd darum, am meisten soziale Kompetenz zu demonstrieren.

Negativ reagieren sie nur in einem Fall: Sie versuchen, die anderen Vögel daran zu hindern, sich ebenfalls für das Gemeinwohl zu engagieren. Vor allem der Chef, wenn er einmal oben ist, lässt keinen mehr aufkommen. Er will nur noch Chef sein.

Biologe Zahavi nannte dies das «Handicap-Prinzip». Die Theorie ­beschreibt, wie sogenannt «ehrliche» Signale einen Fortpflanzungsvorteil verschaffen. Denn die Signale erfordern einen grossen Aufwand. Genau das aber beweist die Qualität des Absenders. Ein solch aufwendiges und ehrliches Signal ist die soziale Kompetenz.

Konrad Reusler, den alle Carlo nannten, schaffte seinen Aufstieg mit derselben Technik der Akzeptanz. Seine Tür war immer nur angelehnt, er war für jeden zu sprechen. Er machte Überstunden für seine Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe. Er holte Sandwichs für die Kollegen. Er riskierte viel, um gefährliche Anwälte und Steuerkommissare zu vertreiben.

Als Carlo dann Vorsitzender der Geschäftsleitung geworden war, war seine Türe plötzlich verschlossen. Man musste sich bei seinen zwei ­Sekretärinnen tagelang vorher anmelden, um einen Gesprächstermin zu bekommen. Er ass nur noch im «Club», wie er sein privates Restaurant nannte. Er hasste es, wenn andere in Sitzungen gute Ideen hatten.

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Über sein Sexleben gab es im Unternehmen viele Gerüchte. Sie wurden dadurch genährt, dass er in seinem Chefbüro eine grossräumige Dusche einbauen liess. Die Dusche war mit Edelholz ausgekleidet.

Kurt W. Zimmermann ist Verlagsunternehmer. Er ist Kolumnist und Buchautor zu den Themen Medien und Outdoor-Sport. Zudem studiert er Biologie.

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