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Verschwiegener Uhrengigant

So sieht die Zukunft von Rolex aus

Jean-Frédéric Dufour hat Rolex in seinen ersten zehn Jahren als Chef in eine eigene Liga geführt. Jetzt beginnt der schwierige Teil.

Marcel Speiser Handelszeitung

Marcel Speiser

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Rolex-Chef Jean-Frédéric Dufour: Bis 2035 kann der Uhrenhersteller zu einem Giganten mit 20 Milliarden Franken Umsatz wachsen.

©Rolex/Nick Harvey

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Fast scheint es, als wäre Jean-Frédéric Dufour unfehlbar. Seit er am 15. Juni 2015 die Führung von Rolex übernommen hat – also vor genau zehn Jahren – hat er – immer gemäss den Schätzungen von Morgan Stanley – den Umsatz fast verdreifacht, die Absatzmenge um gut 50 Prozent erhöht, die Durchschnittspreise um mehr als 30 Prozent. Er hat die Krone des weltweit grössten Uhrenherstellers zurück in die Schweiz geholt, nachdem dieser Stolz der helvetischen Horlogerie während Jahren dem amerikanischen Konzern Apple gehörte. Und er hat sich – in einer strategischen Kehrtwende, die vor ihm keiner gewagt hätte – den grössten Rolex-Händler der Welt, Bucherer, in einem 4-Milliarden-Franken-Megadeal einverleibt.

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Doch niemand weiss besser als Dufour selbst, dass von Unfehlbarkeit keine Rede sein kann. Im Gegensatz zu den meisten Amtskollegen in der Uhrenindustrie ist sich «JFD» – wie er im verschwiegenen Genfer Konzern gern abgekürzt wird – bewusst, dass er zwar der führenden Marke der weltweiten Uhrenindustrie vorsteht, die Zukunft der Branche aber keineswegs vorbestimmt ist: «Die Konkurrenz um das Handgelenk ist gross», sagte Dufour vor einem Jahr der NZZ. Es gebe Fitnesstracker, Smartwatches, Armreife. «Es überrascht mich jedes Mal, wenn Kollegen von mir sagen: Die Leute werden immer Uhren tragen. Das ist nicht gottgegeben, es ist eine fragile Branche, der wir Sorge tragen müssen.»

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Einzigartige Dominanz im Luxusgeschäft

Es sind Worte, die bis heute nachhallen. Kluge Worte von einem Firmenlenker, der sich nicht in Demut üben müsste. Er hat im ersten Jahrzehnt seines Wirkens die stärksten Rivalen richtiggehend stehen gelassen, die teilweise schneller wachsenden Konkurrenten auf Distanz gehalten, seine Marktanteile kontinuierlich ausgebaut. Rolex war schon vor zehn Jahren eine Klasse für sich; heute spielt die Marke in einer eigenen Liga.

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Und das nicht bloss in der vergleichsweise kleinen Uhrenindustrie, sondern in der gesamten Luxusbranche. Weder Louis Vuitton noch Dior noch Chanel noch Hermès noch irgendeine andere wohlklingende Edelmarke schafft, was Rolex Jahr für Jahr bestätigt. Dufours Marke macht mehr als 30 Prozent des Uhrenmarkts aus. Von einer solchen Dominanz im eigenen Segment sind alle anderen Marktleader, sei es bei Handtaschen, Lederwaren oder Mode, meilenweit entfernt. Selbst die Giganten aus dem LVMH-Universum.

Die grosse Frage aber bleibt: Ist die Dominanz in Stein gemeisselt? Kann es der Krone gelingen, den Erfolg der letzten zehn Jahre zu wiederholen und ein weiteres Jahrzehnt fortzusetzen? Oder profan: Wie sieht Rolex 2035 aus?

Über Rolex sind kaum offizielle Zahlen bekannt

Natürlich ist es im Kern müssig, sich ein Unternehmen in zehn Jahren auszumalen, über das es weder in der Gegenwart noch in der Vergangenheit gesicherte Informationen gibt und gab; alles, was man über Rolex weiss, ist entweder informierte Spekulation, gezielte Indiskretion oder das Ergebnis jahrelanger Forschungsarbeit basierend auf Quellen, die nicht vom Unternehmen selbst stammen.

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Die Krone selber spricht nicht. Jedenfalls nicht über sich, sondern nur über ihre Produkte. Und trotzdem ist klar: Verglichen mit seinen ersten zehn Jahren beginnt für JFD jetzt der schwierige Teil. Zumal es höchst unwahrscheinlich ist, dass es im kommenden Jahrzehnt erneut eine Nachfrage- und Preisblase geben wird, wie sie sich vor und während der globalen Covid-Krise in der Uhrenindustrie aufgebaut hat.

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Es sind insbesondere drei Themen, an denen Dufour – oder gegen das Ende der Periode ein möglicher Nachfolger – bis 2035 hart wird arbeiten müssen.

Das mit Abstand wichtigste Thema ist dabei das Management von Angebot und Nachfrage, von Exklusivität und Ubiquität.

Wie kaum einer anderen Uhrenmarke ist es Rolex gelungen, seinen Uhren in den Augen der Öffentlichkeit den Nimbus des Aussergewöhnlichen zu verleihen; es ist das Resultat eines über Jahrzehnte konsistenten Marketing, das seine Wurzeln in den 1970er-Jahren hat. Doch Rolex-Uhren sind alles andere als exklusiv. Pro Jahr stellt das Unternehmen gemäss den Schätzungen von Morgan Stanley und Luxeconsult gegenwärtig rund 1,2 Millionen Uhren her. Das ist – jedenfalls in der Uhrenindustrie – eine industrielle Massenproduktion. Zum Vergleich: Rolex produziert rund ein Viertel dessen, was bei der Marke Swatch – inklusive Moonswatch-Grosserfolg – pro Jahr vom Band läuft. Die Firma stellt deutlich mehr Uhren her als Longines und mehr als doppelt so viele wie der langjährige, mittlerweile aber abgehängte Erzrivale Omega. Unter den Top-50-Marken der Schweizer Uhrenindustrie ist Rolex bezüglich Stückzahlen auf Platz drei; fast 9 Prozent der in der Schweiz produzierten Uhren kommen aus einer Rolex-Fabrik.

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1 Milliarden Franken für eine neue Fabrik in Bulle

Und in den nächsten Jahren wird dieser Anteil weiter wachsen. Die Nachfrage ist da, und Dufour lässt gerade für rund 1 Milliarde Franken bei Bulle FR eine neue, riesige Fabrik hochziehen. Sie soll 2029 eingeweiht werden und zweitausend neue Jobs schaffen. Bereits in der zweiten Hälfte dieses Jahres sollen in Romont FR Produktionslinien hochgefahren werden; für sie hat Dufour eine Industriebrache für 30 Millionen Franken restaurieren lassen.

Sicher: Alle zusätzlich produzierten Uhren dürften Käuferinnen und Käufer finden, auch wenn aus dem Händlernetz zuletzt Hinweise zu vernehmen waren, dass die Wartelisten für begehrte Modelle deutlich kürzer geworden sind und weniger beliebte Modelle – wie bei den meisten Uhrenmarken üblich – sofort gekauft werden können. Und doch ist es ein delikater Balanceakt, den Dufour geschickt und mit höchster Aufmerksamkeit steuern muss.

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Wird Rolex noch omnipräsenter, leiden Image und Begehrlichkeit. Gleichzeitig aber sollen Umsatz, Gewinn und Marktanteile weiter steigen. Ergo erhöht Dufour in schöner Kadenz, aber massvoll die Preise, rückt das ganze Sortiment behutsam in höhere, noch wertigere Klassen, indem etwa Stahl durch Weissgold ersetzt wird. Vor allem aber durchforstet Dufour das Verkaufsstellennetz radikal. «Noch vor wenigen Jahren hatte Rolex weltweit 1400 Türen», sagt Branchenkenner Oliver Müller von Luxeconsult. «Heute sind es knapp 1000.» Und es würden noch spürbar weniger werden.

Rolex nimmt den Handel in China in die eigene Hand

Dafür aber mehr eigene. Die Übernahme von Bucherer – einer der grössten Deals in der Schweizer Uhrenindustrie überhaupt – markiert einen Wendepunkt in Dufours Distributionsstrategie. Vorher hatte Rolex einen einzigen Laden in Genf, mehr Hommage an die Heimatstadt als Geschäft. Heute ist das Unternehmen selbst auch gleich der grösste Rolex-Händler. Es heisst, Bucherer sei für rund 8 Prozent des Rolex-Absatzes verantwortlich, obwohl der Händler bis vor kurzem nur in Europa und in den USA präsent war.

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Mittlerweile aber hat Rolex in Schanghai eine eigene Bucherer-Boutique eröffnet. Das ist nur sinnvoll, wenn in den kommenden Jahren weitere Läden folgen. Beobachter erwarten denn auch, dass die Firma den Handel in China vollständig in die eigenen Hände nehmen wird. Das erfordert im kommenden Jahrzehnt zwar erhebliche Investitionen. Aber Geld ist beim Schweizer Horlogerie-Adelshaus kein Thema. Man verdient es, investiert es – und verschiebt die Überschüsse in die bereits bestens dotierte Hans-Wilsdorf-Stiftung, der sämtliche Aktien von Rolex gehören (siehe Box).

Karitative Profitmaschine

Gewinne der Stiftung Rolex ist ein hochprofitables Unternehmen. Die Rede ist von einer operativen Marge von gut 30 Prozent. Alle Aktien gehören der Hans-Wilsdorf-Stiftung, die ausschliesslich wohltätige Zwecke verfolgt.

Kapitalistische Umverteilung Im Kern ist Rolex eine Umverteilungsmaschine. Wohlhabende Kundinnen und Kunden kaufen Uhren, der Profit fliesst in die Stiftung, die wiederum ihre Gelder – insbesondere in und um Genf – für gute Zwecke ausgibt. Linke, die Rolex-Träger als Bonzen kritisieren – was regelmässig passiert –, verkennen also den Geist des Unternehmens. Eine Rolex mag als Zeichen des Wohlstands gelten. Eine Rolex ist aber auch ein Zeichen des verantwortungsbewussten Kapitalismus.

«Staat im Staat» In Genf gilt die Hans-Wilsdorf-Stiftung als «Staat im Staat». Präsidiert wird sie vom Notar Costin van Berchem, dem Spross einer alteingesessenen Genfer Familie, der noch diverse weitere Stiftungsmandate betreut. Die Besitzerin von Rolex gilt als eine der einflussreichsten Stiftungen der Schweiz. Gemäss der NZZ gibt sie pro Jahr rund 300 Millionen Franken für wohltätige Zwecke aus. Wobei das auch den Sport umfasst: Ohne die Stiftung gäbe es etwa den FC Servette nicht mehr.

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So dürfte es für Rolex kein Problem sein, weiterzuwachsen. Gelingt es, das durchschnittliche Wachstum des letzten Jahrzehnts, nur schon zu halten, dürfte Rolex bis 2035 zu einem Koloss mit mehr als 20 Milliarden Franken Umsatz heranwachsen. Nicht eingerechnet in eine solche, durchaus konservative Schätzung ist dabei, dass Rolex seit Sommer 2024 eben auch als Uhrenhändler agiert. Man verbucht nicht mehr bloss die Verkaufspreise an die Händler als Umsatz, sondern bei rund einem Zehntel der Uhren – Tendenz steigend – auch die Verkaufspreise, welche die Konsumentinnen und Konsumenten bezahlen. Zudem profitiert die Krone als Händlerin auch von den Verkäufen anderer Uhrenmarken, schliesslich hat Bucherer ein schönes Portfolio von ebenfalls wachsenden Drittmarken – von Chopard über Cartier und Breitling bis Vacheron Constantin – im Sortiment. So könnte der Umsatz 2035 durchaus auch bei rund 25 Milliarden Franken zu liegen kommen.

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Tudor muss wieder performen lernen

Dufours volle Aufmerksamkeit erfordert in den nächsten Jahren auch die deutlich kleinere Schwestermarke von Rolex, Tudor. Dort amtet Dufour als Präsident – und musste beobachten, dass eine Uhrenmarke auch verlieren kann. Tudor ist nach einem Höhepunkt im Jahr 2022 mit einem Umsatz von 570 Millionen Franken – auch diese Zahl basiert auf einer Schätzung von Morgan Stanley – um über einen Drittel geschrumpft. Unter dem Strich dürften aktuell rote Zahlen stehen; etwas, was man im Reich der Krone nicht gewohnt ist. Entsprechend hat Dufour bei der dritten Marke im Konzernverbund, Carl F. Bucherer, vor wenigen Monaten den Stecker gezogen. Zu hoch die Verluste, zu tief die Verkäufe.

Eine solche Radikalkur allerdings wird es bei Tudor nicht geben können. Schliesslich wurde das Unternehmen von Hans Wilsdorf höchstselbst gegründet und ist damit eine Art heilige Kuh, ähnlich, wie es Carl F. Bucherer zu Lebzeiten von Jörg Bucherer noch war.

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<p>Rolex-Gründer Hans Wilsdorf schaut seinen Uhrenmachern über die Schultern.</p>

Rolex-Gründer Hans Wilsdorf schaut seinen Uhrenmachern über die Schultern.

Rolex Magazine Archives
<p>Rolex-Gründer Hans Wilsdorf schaut seinen Uhrenmachern über die Schultern.</p>

Rolex-Gründer Hans Wilsdorf schaut seinen Uhrenmachern über die Schultern.

Rolex Magazine Archives

Rolex mag von aussen wie ein Selbstläufer aussehen. Aber Jean-Frédéric Dufour weiss: Die Krone will Tag für Tag poliert werden, auf dass sie auch in zehn Jahren noch glänzt.

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