Guten Tag,
Lange Zeit war sie Opfer. Dann entschied sie: Was mich nicht umbringt, macht mich stark.
Thomas Wyss
Vorbild 4: Schauspielerin Selma Blair wurde nach albtraumhafter Jugend und sexuellen Übergriffen Teil der #MeToo-Bewegung.
DukasWerbung
Wäre «Mean Baby» Fiktion, würde das Buch als «brutale, kaputte Horrorstory» bezeichnet, mindestens. Traurigerweise ist «Mean Baby» aber Realität – nämlich die 2022 veröffentlichte Autobiografie von Selma Blair. Darin schildert die aus einer jüdischen Familie stammende Schauspielerin, wie sie als Siebenjährige an einem Pessach-Fest erstmals Alkohol probiert hat. «In dieser Nacht wurde ich betrunken. Sehr betrunken. Schliesslich wurde ich zu meiner Schwester Katie ins Bett gelegt. Am Morgen wusste ich nicht mehr, wie ich dorthin gekommen war.»
Das ist jedoch nur ein Teil des Grauens. Selma wird in diesem komatösen Zustand auch noch vergewaltigt, wie in den Memoiren ebenfalls zu lesen ist: «Ich machte mich klein und still und wartete darauf, dass es vorbei war. Ich wünschte, ich könnte sagen, dass das, was mir in dieser Nacht widerfahren ist, ein Einzelfall war, aber das war es nicht. Ich bin vergewaltigt worden, mehrmals, weil ich zu betrunken war, um die Worte ‹Bitte aufhören› zu sagen.» In einem Interview mit dem «People»-Magazin mutmasst sie gar, dass sie ohne Alkoholismus ihre Kindheit nicht überlebt hätte.
Werbung
Es hätte nicht überrascht, wäre Selma Blair daran zerbrochen. Doch das passiert nicht, im Gegenteil: Sie lebt vor, was die meisten bloss als Sprichwort kennen: «What doesn’t kill me, makes me strong.» Zum Beispiel, als die damals auf Rollen des naiven, unschuldigen Mädchens abonnierte Schauspielerin 1999 von Hollywood-Filmemacher James Toback sexuell belästigt wird, statt Unterstützung aber Todesdrohungen bekommt – und durch diesen Vorfall jahrelang an Angstzuständen und Panikattacken leidet. Aber resignieren? Ist nicht! Vielmehr wird Blair später zur engagierten Mitkämpferin der #MeToo-Bewegung.
Oder 2018, als man bei der damals 46-jährigen, alleinerziehenden Mutter die unheilbare Nervenkrankheit Multiple Sklerose (MS) diagnostiziert – zwei Jahre nachdem sie endlich ihre Alkoholsucht hat überwinden können. Aber sich zurückziehen, verstecken? Macht sie nicht! Stattdessen präsentiert sie sich an Filmpremieren, Modeschauen oder in Late-Night-Shows, ja sie nimmt sogar am Showformat «Dancing with the Stars» teil, wo sie mit ihrem Partner, einem Profitänzer, mehrere Folgen lang «förmlich über das Parkett zu schweben schien», wie das Promi-Blatt «Gala» schwärmt, bevor sie wegen Überanstrengung aufgeben muss.
Werbung
Ein Leben ohne Vorbilder ist bei höheren sozialen Lebewesen undenkbar. Wo lassen sich würdige Vorbilder aufspüren? Eine Gebrauchsanleitung.
Ausser beim Tanzen immer mit dabei sind der Gehstock oder ihr Labrador Scout, der darauf trainiert ist, sie im Falle eines krankheitsbedingten Muskelkrampfs zu stützen. Doch wieder geht es der unbeugsamen Kämpferin dabei nicht allein um ihr Schicksal. Der Modezeitschrift «Vogue» sagt sie: «Ich glaube, Repräsentation ist wichtig: Wenn ich dazu beitragen kann, das Stigma oder die übermässige Neugierde in einer Menschenmenge für jemand anderen zu beseitigen, dann ist das grossartig.»
PS: Grossartig ist übrigens auch Selma Blairs aktueller Zustand. Ihre neuen Medikamente haben nämlich so gut angeschlagen, dass sie kürzlich bei den Fashion Los Angeles Awards ohne Hund und Stock über den Teppich gehen konnte …
Dieser Artikel ist im Bonanza, dem Magazin der BILANZ, erschienen (Sommer 2025).
Werbung