Guten Tag,
Lauener, der Bob Dylan der Mundart, lässt sich von seiner Krankheit nicht verbiegen.
Thomas Wyss
Vorbild 1: Kuno Lauener, Songwriter und Sänger von Züri West, machte 2021 seine schwere Erkrankung öffentlich.
Annette Boutellier / LUNAXWerbung
Dieser Geschichte, sei gleich zu Beginn offengelegt, fehlt womöglich die professionelle Distanz, die in journalistischen Beiträgen grundsätzlich Standard ist.
Das hat nichts damit zu tun, dass ich als ewiger Züri-West-Fan mehr als zwei Dutzend Konzerte miterlebte. Beim ersten dieser Gigs in Zürichs Roter Fabrik vor rund 35 Jahren bin ich gerade daran, ein wenig erwachsen zu werden. Das letzte Mal live sehe ich die Berner Mundartband Ende 2017 im Salzhaus in Winterthur. Die Krönung aber, also die für mich beste Show, datiert vom 2. Oktober 2001. Da bespielen Züri West die enge, kleine Bühne des legendären «El Lokal» an der Gessnerallee in Zürich. Allerdings nicht unter angestammtem Namen, sondern als Friends of Hänzi – Hänzi, Vorname Erich, ist zu jener Zeit ein mässig talentierter, jedoch übermässig vereinstreuer und deshalb fast kultig verehrter YB-Fussballer. All das ist den Anwesenden indes schnurzegal, was zählt, ist allein die Ekstase. Sie dauert dreissig fantastische Lieder lang.
Ein Leben ohne Vorbilder ist bei höheren sozialen Lebewesen undenkbar. Wo lassen sich würdige Vorbilder aufspüren? Eine Gebrauchsanleitung.
Doch eben, diese Erlebnisse sind nicht schuld an einer gewissen Befangenheit. Das «Problem» – darum die Gänsefüsschen – ist eine Art Paradox, weil tatsächlich der Journalismus! 2010 erhalten ein «Tages-Anzeiger»-Kollege und ich die Möglichkeit, im Berner Kursaal mit Züri-West-Sänger Kuno Lauener und -Gitarrist Tom Etter ein Interview zu führen. Das Gespräch entwickelt sich rasch in eine höchst unterhaltsame Richtung: Es geht unter anderem um den heimlichen, inoffiziellen Wettbewerb unter den Musikern, wer Kuno das beste Demo abliefert, oder dass sich eigentlich niemand aus der Band getraut, ihm zu sagen, wenn man seine Texte nicht versteht.
Werbung
Eineinhalb Stunden lang wird gelacht, gefoppt, aber auch substanziell diskutiert. Es entsteht Vertrauen. Das zeigt sich, als es Jahre später in Backstage-Bereichen zum einen und anderen Wiedersehen kommt. In diesen Momenten ist er nicht der eben noch von Tausenden gefeierte «geile Siech», der Frauenschwarm und Rock’n’Roll-Poet, bei dessen Texten viele finden, wenn man dem Dylan schon den Literaturnobelpreis gegeben hat, hätte man dem Lauener längst das Schweizer Pendant dazu überreichen müssen. Nein, da hinten ist er der schüchtern wirkende Zweifler, unsicher, ob die neuen Songs funktioniert haben … und neugierig, wie es grad bei der Zeitung läuft.
Als Lauener im März 2021 öffentlich macht, dass er an Multipler Sklerose erkrankt sei und keine Konzerte mehr werde spielen können, wühlt mich das auf; die Züri-West-Alben laufen tagelang in Dauerschleife. Doch dann weichen die Sorgen der Hochachtung: Der Mut zur Offenheit, aber auch die teils schelmische Lakonie, mit der er in Interviews auch über knallharte Gewissheiten, unsichere Pläne, Freundschaften und vor allem die Band spricht, bewegen mich Mal für Mal.
Werbung
Als ich ihn am 10. Dezember 2024 im Restaurant Rosso treffe – es ist die gross angerichtete Taufe des zweibändigen Buchs zu vierzig Jahren Züri West –, stehen andere auf der Bühne. Er aber ist da, im Schatten des Scheinwerferlichts, nippt am Weisswein, plaudert oft lachend über dies und das. Vielleicht, denke ich später, war das einer seiner grössten Auftritte.
Dieser Artikel ist im Bonanza, dem Magazin der BILANZ, erschienen (Sommer 2025).
Werbung